Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
gerne zugab, er war erfreut, dass sie letztendlich doch Interesse für ihn zeigte. Er hatte sehr oft an sie denken müssen seit jenem Augenblick damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war nicht nur die schönste Frau, der er je begegnet war, sie war darüber hinaus die interessanteste. Er kannte sie effektiv seit fünf Jahren, doch er wusste praktisch überhaupt nichts über sie. Bis zum heutigen Tag hatte sie mit Ausnahme der ersten paar Stunden, als sie sich kennengelernt hatten, bewusstlos im Koma gelegen.
»Mukka, einen Drink für die Lady!«, befahl Sanchez.
»Geht klar, Boss. Was darf’s denn sein, Miss?«
»Bloody Mary.«
»Kommt sofort.«
Sanchez konnte Jessica nur anstarren und grinsen, während sie darauf warteten, dass Mukka den Drink servierte. Schließlich, nach etwa einer Minute Klirren von Flaschen und Gläsern, während der junge Koch nach den Zutaten für die Bloody Mary suchte, stellte er ein hohes dünnes Glas vor sie hin, das mit roter Flüssigkeit gefüllt war.
»Ist da kein Eis drin?«, fragte Jessica, sehr wohl wissend, dass keines drin war.
»Hast du mich vielleicht welches rein tun sehen?«, war Mukkas sarkastische Antwort.
»Schaff der Lady verdammt noch mal ein paar beschissene Eiswürfel herbei, wird’s bald!«, schnauzte Sanchez den Jungen an.
Mukka gehorchte, wenngleich nicht ohne meuterndes Gemurmel, laut genug, dass sein Boss es hören konnte.
»Tut mir wirklich leid, der Zwischenfall, Jessica«, sagte Sanchez und lächelte entschuldigend. Es gab nur eine Möglichkeit, sinnierte er, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, und die bestand darin, sofort die Initiative zu ergreifen und die junge Frau über sich selbst auszufragen. Er atmete tief durch und dann sagte er das Erste, was ihm in den Sinn kam.
»Äh … ja … Erzähl mir, wie kommt es, dass ich dich seit fünf Jahren kenne und doch überhaupt nicht weiß, wer du bist?«
»Meine Güte! Verschwenden wir keine Zeit mit Smalltalk, oder?«
Das sah nach einem Stück harter Arbeit aus, dachte Sanchez, doch er war nicht bereit, kampflos aufzugeben. »Meinetwegen«, sagte er gleichmütig. »Aber diese Unterhaltung ist zweiseitig, Süße. Ich will wissen, was du über meinen Bruder und seine Frau weißt.«
»Bin ich ihnen denn je begegnet?«, fragte Jessica und starrte Sanchez verwirrt an. »Wer sind sie?«
»Ja, du bist ihnen begegnet. Sie haben dich die letzten fünf Jahre am Leben gehalten, nachdem ich dir das Leben gerettet hatte.«
»Du hast mir das Leben gerettet? Blödsinn!«
Sanchez war mehr als ein wenig enttäuscht, dass Jessica seine Behauptung, er hätte ihr das Leben gerettet, als völlig unmöglich abtat. Doch er schluckte seinen Stolz herunter und redete weiter.
»Von wegen Blödsinn«, sagte er hartnäckig. »Vor fünf Jahren wurdest du draußen vor der Bar niedergeschossen. Sie haben dich liegen lassen, weil sie dachten, du wärst tot. Ich hab dich aufgehoben und zum Haus meines Bruders gebracht. Seine Frau Audrey war Krankenschwester. Sie hat sich um dich gekümmert und dich wieder gesund gepflegt. Die letzten fünf Jahre lagst du im Koma, und Audrey und mein Bruder haben dich am Leben gehalten in der ungewissen Hoffnung, du könntest eines Tages wieder zu dir kommen.«
Jessica starrte ihn misstrauisch an, was Sanchez nur zu verständlich fand. Es würde Zeit kosten, ihr Vertrauen zu gewinnen, doch es würde kommen. Er musste hartnäckig bleiben, das war alles.
»Warum hast du mich zu ihr gebracht? Warum nicht in ein Krankenhaus, wie jeder normale Mensch es getan hätte?«, fragte sie und beobachtete ihn genau, um zu sehen, ob seine Antwort ehrlich war oder nicht.
»Weil das Krankenhaus in jener Nacht voll war.«
»Was ist denn das für eine Entschuldigung?«, spottete sie.
»In jener Woche waren ungefähr dreihundert Männer, Frauen und Kinder niedergeschossen worden. Die meisten starben, weil das Krankenhaus nicht mit diesem Ansturm fertig wurde. Meine Schwägerin war ein paar Monate vorher gefeuert worden, also dachte ich, sie wäre deine beste Chance zu überleben. Außerdem erschien es mir wie ein Wunder, dass du noch am Leben warst.«
Er musterte sie von oben bis unten. »Ich hatte so eine Ahnung, dass du wieder gesund werden würdest. Hab mich nicht getäuscht, wie?«
»Sicher. Ich schätze, ich sollte dir danken.« Ihre Gedanken rasten; sie hatte keinerlei Erinnerung an das, was er ihr erzählt hatte.
Sanchez gewann den Eindruck, dass sie ihm eigentlich nicht danken
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