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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
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»Er mag es nicht, wenn ich ihn Hase nenne, aber ich tue es trotzdem, weil er ein so süßes kleines Häschen ist. Findest du nicht auch?«
    Statt einer Antwort grunzte Gabriel nur.
    Michael öffnete das Buch. Die Seiten waren leer, aber Michael hatte nichts anderes erwartet. Doch während die Seiten im Buch Emerald glatt und weiß waren, bestand das Buch Rubyn aus rauem Papier, das überall Holzreste aufwies. Michael blätterte bis zur Mitte und legte das aufgeschlagene Buch auf seine Knie. Er zögerte. Er hatte den Eindruck, dass dies einer der strahlendsten Augenblicke seines Lebens war. Um hierher zu gelangen, hatte er schwierige Hindernisse überwinden und sich großen Gefahren stellen müssen. Wenn Dr. Pym oder Kate oder König Robbie – oder sein Vater – nur erfahren würden, was er geleistet hatte! Als Michael die Spitze des Griffels auf die Seite setzte, breitete sich ein Lächeln auf seinem sonst so ernsten Gesicht aus. Mit schwungvollen Strichen schrieb er den Namen seiner Schwester.
    Nichts geschah.
    »Ähm, Hasi …«
    »Was?«, fragte Michael gereizt.
    »Du brauchst Tinte. Die Worte werden nicht von selbst auf dem Papier erscheinen.«
    »Na, das hättest du mir auch gleich sagen können. Hat der Wächter vielleicht Tinte …?«
    »Oh, normale Tinte funktioniert nicht.« Die Elfenprinzessin trat vor, nahm seinen Daumen in eine Hand und den Griffel in die andere. Michael wollte gerade fragen, was sie vorhatte – wobei er nicht umhin konnte, ihre rosenzarte Haut zu bewundern – als sie ihm die scharfe Spitze in den Daumenballen stieß.
    »Au!«
    »Ach sei doch nicht so ein Baby-Häschen. Hier, siehst du?« Und damit tauchte sie den Griffel in den Blutstropfen, der aus seinem Daumen quoll. »Das Blut dient nicht nur als Tinte, sondern es schmiedet auch das Band zwischen dir und dem Buch. Ein bisschen gruselig, ich gebe es zu, aber sehr wirkungsvoll. Jetzt weck deine arme Schwester auf. Dann können wir nach draußen gehen und du darfst mir die Haare flechten.«
    Michael ging nicht auf ihren letzten Vorschlag ein (obwohl ihm eine kleine Stimme in seinem Kopf versicherte, dass die Idee ganz wundervoll klang), sondern holte tief Atem, warf einen letzten Blick auf das reglose Gesicht seiner Schwester und setzte den Griffel an.
    Er zuckte zusammen. Es war, als hätte man eine Gabel in eine Steckdose gerammt. Ein Stromschlag fuhr durch den Griffel in seinen Arm und von dort aus durch seinen ganzen Körper.
    »Was ist los?«, wollte Gabriel beunruhigt wissen. »Ist er in Gefahr?«
    »Nein, er schafft eine Verbindung mit der Chronik des Lebens«, flüsterte die Elfenprinzessin. »Schau!«
    Es kam Michael so vor, als ob all seine Nervenenden summten und vibrierten, von den Fingerspitzen über die Ohrläppchen bis zu seinen Fußsohlen. Nach dem ersten Schreck war das Gefühl nicht einmal unangenehm. Während Michael sich entspannte, bemerkte er, dass seine Sinne unnatürlich geschärft waren. Er sah goldene Flecken in Emmas Augen, die ihm noch nie zuvor aufgefallen waren, roch den leicht hefigen Geruch der Seife, die sie in Baltimore im Waisenhaus verwendet hatten, hörte – obwohl ihm das unmöglich erschien – sogar das leise, flatternde Schlagen ihres Herzens.
    Er fing an zu schreiben, und die Buchstaben rauchten und loderten, während er sie niederschrieb, als ob er den Namen in die Seite des Buches einbrennen würde. Dann, ganz plötzlich, richtete sich Emma mit einem Ruck auf und schrie: »Das sollten Sie besser nicht …!« Sie verstummte und sagte: »Huch? Wie kommt ihr denn hierher?« Und dann brach ein lautes und freudiges Durcheinander los. Gabriel zog Emma in seine Arme, Wilamena applaudierte und küsste Emma, während sie ihr versicherte, dass sie so glücklich sei, Emma als Schwester zu bekommen, und Emma sagte: »Ähm, wer bist du eigentlich? Und wo ist der Drache?« Und inmitten all des Trubels saß Michael still und stumm auf seinem Stuhl. Seine Hände, mit denen er das Buch zuklappte, zitterten, und sein Gesicht war vor Angst kalkweiß.
    »Ich war also auf der Lichtung, und dieser große, dämliche Drache …« Emma schaute zu Wilamena. »Oh, Entschuldigung.«
    »Ach was!« Die Elfenprinzessin winkte ab. »Schon gut. Wir sind immerhin eine Familie. Oder werden es zumindest bald sein.«
    »Hä?«
    »Vergiss es«, sagte Michael.
    »Nun, dann flogen wir über den Wald«, fuhr Emma mit ihrer Erzählung fort, »was ich zugegebenermaßen ziemlich cool fand, und dann landeten wir auf dem Turm, und

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