Das Buch Rubyn
Muster auf dem Einband und gab Michael das Buch zurück. Ohne einen Blick darauf zu werfen, steckte Michael die Chronik des Lebens wieder in seine Tasche und hängte sie sich über die Schulter. Er fühlte das Gewicht gegen seine Hüfte drücken und stieß den Atem aus, den er angehalten hatte.
»Also gehört die Chronik des Lebens dir? So wie die Chronik der Zeit Kate?«
»Sieht so aus.«
»Dann bekomme ich das letzte Buch. Nimm’s mir nicht übel, aber ich hoffe, ich muss nicht auch mit meinem Blut reinschreiben. Igitt!«
Michael überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass das nächste und letzte Buch die Chronik des Todes war, beschloss dann aber, dass diese Information keine Eile hatte.
»Michael, geht es dir wirklich gut?«
Er betrachtete Emma, der das nasse Haar wirr am Kopf klebte, und dachte: Sie lebt. Egal, welchen Preis ich dafür zahlen musste, das war es wert.
Er sagte: »Ja, mir geht’s gut.«
Und er schaffte es sogar, ein kleines, echtes Lächeln hervorzupressen.
»Darf ich dich noch etwas fragen?«
»Klar.«
Da entdeckte Michael einen vertrauten schalkhaften Funken in Emmas Augen und er wappnete sich für das, was jetzt kommen würde.
»Ist diese Prinzessin Wie-heißt-sie-doch-gleich jetzt offiziell deine Freundin?«
»Nein«, sagte Michael fest. »Ganz bestimmt nicht.«
Emma grinste. »Bist du sicher? Weil …«
»Natürlich bin ich nicht seine Freundin!«
Beide wandten sich um und sahen die Elfenprinzessin an der Ecke des Bergfrieds stehen. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte Emma an.
»Ich bin nicht irgendeine Freundin! Zwischen uns ist es ernst!«
»So, so«, sagte Emma und grinste ihren Bruder breit an.
»Ich soll euch zwei Dinge ausrichten«, erklärte Wilamena. »Erstens, das Frühstück ist fertig. Zweitens, im Tal steigt schwarzer Rauch auf. Offensichtlich hat jemand namens Rourke euch ausfindig gemacht.« Sie klatschte fröhlich in die Hände. »Ich hoffe, ihr habt tüchtigen Hunger!«
Kate hatte keine Zeit, etwas zu sagen oder Rafe zu fragen, wie er sie gefunden hatte und wie es ihm gelungen war, sich in Rourke zu verwandeln. Keine Zeit, um zu fragen, warum er gekommen war. Nachdem der Blendzauber, der ihn als den riesenhaften, kahlköpfigen Iren hatte erscheinen lassen, verblasst war, und von unten die Schreie und die trampelnden Stiefelschritte näher kamen, packte Rafe sie an der Hand, und gemeinsam rannten sie die Treppe hinauf, durch eine Tür und hinaus in die Kälte aufs Dach.
Die Nachtluft vertrieb den Rest von Kates Benommenheit, und in diesem Moment, als sie auf den unberührten Schnee schaute und Rafes Hand in ihrer spürte, zögerte sie.
»Was?«, wollte Rafe wissen. »Was ist los?«
Was sollte sie ihm sagen? Dass sie gerade erfahren hatte, dass der grässliche Magnus, ihrer aller Feind, nicht ein Mann war, sondern viele? Dass heute Nacht ein neuer Magnus an die Stelle des alten, sterbenden treten würde, und dass er, Rafe, der Auserwählte war?
»Wir müssen weg hier!«
Sie ließ sich von ihm mitziehen.
Als sie die niedrige Brüstung erreichten, die den Rand des Dachs begrenzte, sah Kate, dass das nächste Haus ein ganzes Stockwerk niedriger war als das herrschaftliche Anwesen des grässlichen Magnus. Sie wollte zurückweichen, aber Rafe legte den Arm um ihre Taille und sprang. Sie fielen und fielen und landeten schließlich in einem dicken Kissen aus Schnee. Rafe war im Nu wieder auf den Beinen, zog Kate hoch, und dann rannten sie weiter. Der Schnee war tief und Kate fiel das Laufen mit ihren neuen, hochhackigen Stiefeln und dem engen Kleid schwer, aber Rafe trieb sie an. Sie sprangen über die kleinen Firste zwischen den Hausdächern, wichen Schornsteinen und schneebedeckten Blumenkästen aus. Sie hatten schon den halben Block hinter sich gebracht, als Kate über die Schulter schaute und die dunklen Gestalten von vier Gnomen sah, die sie verfolgten.
»Sie sind …«
»Ich weiß«, sagte Rafe. »Renn weiter!«
Kate sah vor sich das Ende des Häuserblocks und dahinter den Abgrund, der sich über der Straße auftat. Der nasse Schnee zerrte an ihren Füßen und an ihrem Kleid, und sie hörte die stampfenden Schritte der Gnome hinter sich immer näher kommen.
»Da!«, rief Rafe.
Kate schaute, wohin er zeigte, und sie sah vor sich, zur Linken, die lange, dunkle Schlange der Hochbahn. Ihre Gleise führten direkt unterhalb der Häuser. Die Wagen würden sie in wenigen Sekunden erreicht haben. Kate erkannte, was Rafe vorhatte. Aber
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