Das Buch Rubyn
ein Junge. Er hat keine Ahnung von seiner Macht. Weiß nichts von seinem Schicksal. Aber bereits jetzt ist er stark. Andere können es fühlen.«
Kate konnte kaum noch atmen. Die Hitze und die Feuchigkeit erstickten sie fast. Sie hätte sich am liebsten den Kragen ihres Kleides aufgerissen.
Das ist unmöglich. Es darf nicht sein!
Der alte Zauberer sprach weiter.
»Rourke hat den Jungen im ganzen Land gesucht. Es hat Jahre gedauert, ihn zu finden, und immer noch verbirgt ihn ein Schleier aus Magie vor meinen Augen. Zweifellos denkt derjenige, der ihn vor unserem Zugriff bewahrt, dass er ihn beschützt.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es spielt keine Rolle. Der Junge wird heute Nacht zu mir kommen. Er wird den Weg finden. Er kann seinem Schicksal nicht entrinnen. Er wird kommen und die Linie wird ungebrochen weiterbestehen.«
Kate musste sich an den Armlehnen des Stuhls festhalten, weil sie sonst zu Boden gesunken wäre.
»Wie … wie lautet sein Name?«
Das uralte Geschöpf, das vor ihr saß, lächelte sie an. Kate spürte, dass der Mann auf diesen Moment gewartet hatte.
»Das fragst du, Kind, obwohl du ihm schon begegnet bist? Ich weiß es, denn ich kann ihn in deiner Aura fühlen. Ich fühlte es in dem Moment, in dem du eingetreten bist.« Die Augen des Alten wurden klar, und Kate starrte ihn voller Schrecken an, denn sie glühten smaragdgrün. Erst heute Morgen hatte sie in diese Augen geblickt, als Rafe ihr das Gesicht mit Ruß eingerieben hatte.
»Er wird kommen«, zischte der alte Mann. »Er wird kommen und der grässliche Magnus wird weiterleben.«
Kate, einer Ohnmacht nahe, merkte, dass ein Gnom das Treibhaus betrat und sie aus dem Stuhl hob. Sie hörte den grässlichen Magnus sagen: »Schließ sie in ein Zimmer ein und bewache sie gut. Sie wird heute Nacht mein Gast bei der Zeremonie sein.« Sie fühlte die kalte Luft auf ihren Wangen, als sie in den Flur gebracht wurde.
Am Fuß der Treppe trat Rourke zu ihnen. »Ich werden sie tragen«, sagte er und nahm sie dem Gnom aus den Armen. Dann hörte sie Geschrei unten an der Treppe. Der Nebel in ihrem Kopf lichtete sich, denn die Stimme, die da unten etwas rief, war die Stimme von Rourke. Aber Rourke war doch hier und hielt sie in den Armen. Auch der Gnom schien das merkwürdig zu finden. Und dann, ohne Vorwarnung, trat Rourke dem Gnom fest vor die Brust, sodass der wie ein Geschoss durch die Fensterscheibe stürzte. Schwere Schritte näherten sich über die Treppe. Kate sah die Luft vor sich flimmern, und dann stand neben ihr nicht Rourke, sondern Rafe.
»So weit, so gut«, sagte der Junge. »Jetzt sollten wir machen, dass wir wegkommen.«
Michael erwachte, sah den strahlend blauen Himmel über sich und hatte einen wundervollen Augenblick lang keine Ahnung, wo er sich befand.
Dann erschien ein Gesicht vor seinen Augen. Das Gesicht hing verkehrt herum und es kam ihm sehr, sehr nahe.
»Wie kannst du damit nur etwas sehen? Es ist doch alles verschwommen!«
Mit einem Satz war Michael auf den Füßen. Er ließ den Blick über die schemenhaften Konturen des bewaldeten Tals gleiten, über die schneebedeckten Berge, den Vulkan, die Trümmer des Turms …
Okay, dachte er, während sein Herz aus seiner Brust zu galoppieren drohte. Okay, ich weiß wieder, wo ich bin.
Dann fuhr seine Hand zum Hals und er fühlte zu seiner Erleichterung die Erhebung der Glaskugel unter dem Hemd, die immer noch an dem Lederband hing. Er griff nach dem Brillenbügel, um sie zurechtzurücken, und merkte, dass er gar keine Brille trug. Die Gestalt, in deren Schoß sein Kopf gelegen hatte, hatte sie aufgesetzt.
»Du brauchst dieses schreckliche Ding doch gar nicht, stimmt’s?« Das Elfenmädchen hatte die Brille wieder abgenommen und hielt sie, als würde sie glitschigen Seetang in der Hand halten. »Du siehst ohne sie viel besser aus. Bis auf deine Nase. Hattest du einen Unfall?«
»Was? Nein!«
»Dann wurdest du gewiss von einem Zauberer verflucht.«
»Nein …«
»Du bist mit dieser Nase geboren? Nun ja, wenn wir erst verheiratet sind, werde ich es einfach vermeiden, dir allzu oft ins Gesicht zu schauen, damit ich keine Angst vor dir bekomme.«
Michael war immer noch benommen von seiner Ohnmacht und hatte Mühe zu folgen. Außerdem war das, was das Elfenmädchen gerade in Aussicht gestellt hatte, viel zu entsetzlich, um darüber nachzudenken. Er hatte keine Ahnung, wie er darauf reagieren sollte. Und so sagte er einfach: »Kann ich bitte meine Brille …«
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