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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
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sagte Rafe: »Du brauchst einen Mantel. Dieses Kleid ist viel zu auffällig.«
    Die Geschäfte waren entweder schon zu oder im Schließen begriffen. Schließlich war es Silvesterabend. Aber Rafe ergatterte trotzdem einen langen Wollmantel, der Kate bis unter die Knie reichte und sie sowohl wärmte als auch ihr Kleid vor neugierigen Blicke verbarg.
    Zurück in der Bowery, hatte Kate das merkwürdige Gefühl, als würde sich ein Kreis schließen. Hier war sie vor zwei Tagen angekommen, und jetzt war sie wieder da, diesmal mit Rafe. Sie ahnte, dass sich die Dinge dem Ende näherten, aber sie wusste immer noch nicht, was sie tun sollte.
    Während sie nebeneinander her gingen, bemerkte Kate zum ersten Mal, dass fast jedes zweite hell erleuchtete Gebäude entweder ein Casino, ein Theater oder einen Tanzpalast beherbergte. Lautes Gelächter und Musik drangen auf die Straße, und überall in den Schaufenstern hingen Schilder mit der Aufschrift: Willkommen im nächsten Jahrhundert! Männer und Frauen, fröhlich Arm in Arm, hüpften und tanzten singend vorbei.
    Rafe blieb mitten auf der Straße stehen und schaute sich um.
    »In ein paar Stunden wird keiner von ihnen sich daran erinnern, dass die Magie wirklich existiert. Irgendwie finde ich das nicht richtig. Nach allem, was sie uns angetan haben.«
    Kate erschauerte und zog ihren Mantel enger um sich. Der Junge blickte sie an.
    »Hast du seit dem Mittag irgendwas gegessen? Du musst ja halb verhungert sein!«
    Er wollte weitergehen, aber sie hielt ihn fest.
    »Du hast mich gerettet, weil du mich kennst, stimmt’s? Weil wir uns schon früher begegnet sind. Wie …?«
    »Keine Angst, ich erzähle es dir. Ich hab’s doch versprochen.«
    Ihnen kam ein Mädchen entgegen, das heiße Maiskolben verkaufte. In den Enden der dampfenden gelben Köstlichkeiten, die das Mädchen in einem Bauchladen vor sich hertrug, steckten kleine Holzspieße. Rafe kaufte für jeden von ihnen einen, und sie aßen, während sie durch das Labyrinth aus Straßen gingen, wobei sie immer wieder Gruppen von ausgelassen Feiernden ausweichen mussten. Der Maiskolben schmeckte Kate noch besser als die Kartoffel, die sie an jenem ersten Tag mit Jacke und Beetles geteilt hatte. Als sie fertig gegessen hatte, kaufte Rafe noch einen Becher heißen Apfelwein. Sie kauerten sich neben dem Karren des Apfelweinverkäufers eng aneinander und schlürften abwechselnd das heiße, mit Gewürzen versehene Getränk.
    »Bist du ihm begegnet?«
    Kate schaute Rafe an, aber der Junge hatte das Gesicht über den dampfenden Becher gesenkt. Sie wusste, wen er meinte, fragte aber trotzdem: »Wem?«
    »Dem Mann, der die Gnome befehligt.«
    Kates Stimme klang hohl: »Ja, ich bin ihm begegnet.«
    »Wie lautet sein Name?«
    »Ich … ich weiß nicht. Man nennt ihn den grässlichen Magnus.«
    »Hat er etwas über mich gesagt?«
    Kate war, als würden alle Geräusche aus den Spielhallen und Theatern ersterben. Sie hörte nur noch das laute Hämmern ihres eigenen Herzens.
    »Er hat deinen Namen nicht erwähnt.«
    Das war zumindest keine Lüge. Aber dennoch hatte Kate das Gefühl, dass ihr die Dinge aus der Hand glitten, dass sie weder begriff, was geschah, noch einen Einfluss darauf hatte.
    Der Junge nickte. »Du willst also wissen, woher ich dich kenne?«
    »Ja.«
    »Dann komm mit. Ich muss dir etwas zeigen.«
    Sie bogen in die nächste Straße ein und durchquerten ein dichtes Gewirr aus Gässchen. Kate fielen die Zwerge auf, die Kobolde sowie die in Umhänge gehüllten Männer und Frauen. Sie merkte, dass sie das magische Viertel betreten hatten. Dann, in einer schmalen, stockdunklen Straße, bog Rafe in eine Gasse ein und führte sie zu einem dreistöckigen Mietshaus. Unter der Feuerleiter blieb er stehen, griff nach oben, packte die Leiter und zog sie nach unten. Er löste eine kleine Lawine aus frisch gefallenem Schnee aus, wovon das meiste auf seinem Kopf landete. Kate lachte; sie konnte nicht anders.
    »Ja«, sagte der Junge und lächelte. »Daran hätte ich eigentlich denken sollen.«
    Er schüttelte sich wie ein Hund und der Schnee flog nach allen Seiten. Doch noch geraume Zeit danach war sein dunkles Haar weiß gesprenkelt, wie das eines alten Mannes. Sie stiegen aufs Dach und er führte sie zu der Seite des Gebäudes, die auf die Straße hinausging. Er fegte den Schnee von der niedrigen Mauer, sodass sie sich dagegen lehnen konnten. Die Musik und das Gelächter aus den Vergnügungsetablissements klangen gedämpft und weit entfernt.

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