Das Buch Rubyn
Zeit Vorsorge getroffen, falls so etwas passiert. Im Norden gibt es einen verborgenen Ort, wo die Kinder geschützt aufwachsen können. Man wird sich um sie kümmern und sie werden eine Ausbildung erhalten. Dass es ausgerechnet jetzt so weit kommen musste, nur wenige Stunden, bevor wir endgültig in Sicherheit sind. Aber es ist nutzlos, über Dinge zu klagen, die man nicht ändern kann. Das Leben geht voran, selbst für eine Zeitreisende wie du eine bist.«
»Miss Burke …«
»Nein, hör mir zu.« Sie drehte sich um und schaute Kate an. »Die Leute halten mich für unbarmherzig, aber die Wahrheit ist nicht so einfach, wie es scheint. Ich habe vor langer Zeit mein eigenes Kind aufgegeben. Ich dachte, es wäre sicherer unter Menschen, die nichts von Magie wissen, würde aufwachsen als eines von ihnen. Ich hatte mich geirrt. Seine Natur setzte sich durch, und als es mich brauchte, war ich nicht bei ihm. Seitdem lastet diese Schuld auf mir. Rafe ist der Sohn, den ich hätte beschützen sollen. Aber ich kann ihn nicht mehr länger behüten.«
Kate fühlte, wie sich bei den Worten ein Gewicht auf ihre Schultern legte.
Henrietta Burke trat näher. »Weißt du noch, unsere Abmachung? Ich helfe dir, nach Hause zu kommen, und als Gegenleistung kann ich dich um etwas bitten, wann immer ich will. Ich bitte dich jetzt.«
»Aber wir müssen gehen! Das Feuer …«
»Kind«, sagte die grauhaarige Frau, »ich gehe nirgendwohin.«
Sie schlug ihren Schal auseinander, und Kate sah eine dicke, längliche Glasscherbe aus der Seite der Frau ragen. Blut rann über das Glas und tränkte ihr Kleid.
»Rafe will, dass ich mit euch gehe. Er glaubt, dass Zauberei alles vermag. Aber jede Magie hat ihren Preis und der für meine Heilung wäre zu hoch. Ich bleibe hier.«
Kate machte den Mund auf, aber es kamen keine Worte heraus. Der maßlose Schrecken der Situation, der sie sich gegenübersah, und die ruhige Entschiedenheit der Frau machten sie sprachlos.
Henrietta Burke sprach weiter.
»Ich weiß, wer Rafe ist. Scruggs glaubte, ich wüsste es nicht, aber ich wusste von Anfang an über das Schicksal Bescheid, das ihn erwartet. Aber er hat noch immer die Wahl.«
Die Frau packte Kate an der Schulter. Ihre grauen Augen starrten sie eindringlich an.
»Liebe ihn.«
»W…was?«
»Das ist der Grund, warum du hier bist. Deshalb bist du gekommen. Du hast ihn schon verändert. Du kannst es nicht sehen, aber ich. Du bist die einzige Hoffnung, die er hat. Du musst ihn lieben.«
Kate starrte die Frau an. Der Turm schwankte, die Glocken schlugen klingend aneinander, Schreie wurden von der Straße zu ihnen emporgetragen. Flammenzungen leckten über das Dach. Sie schüttelte den Kopf.
»Sie verstehen nicht … Sie verstehen nicht, wer …«
»Ich weiß genau, wer er ist. Wer er sein wird. Aber du kannst ihn immer noch retten. Liebe ihn, Kind. Liebe ihn, so wie er dich liebt.«
»Bitte … bitte verlangen Sie das nicht von mir.«
»Doch, das tue ich. Es ist die einzige Hoffnung, die uns noch bleibt.«
Dann beugte sich Henrietta Burke vor und flüsterte Kate ins Ohr: »Und hier ist mein Teil der Abmachung: Du brauchst weder eine Hexe, noch einen Zauberer oder sonst irgendjemanden, um die Macht in dir heraufzubeschwören. Das hast du nicht nötig. Hör auf, dagegen anzukämpfen, und lass sie frei.«
Instinktiv wusste Kate, dass die Frau recht hatte. Die Macht war in ihr. Sie konnte sie fühlen, selbst jetzt.
Und Kate fühlte auch, wie sie damit rang. Seit Monaten versuchte sie, diese Macht zu unterdrücken, seit sie die Gräfin in die Vergangenheit gebracht und vernichtet hatte. Etwas in ihr hatte sich seitdem verändert. Sie war nicht mehr dieselbe.
Die Macht des Buchs Emerald war die ihre. Sie konnte es nicht länger leugnen.
»Jetzt geh.« Immer noch in Kates Augen blickend, rief sie: »Nimm sie mit!«
Kate fühlte, wie sie am Arm gepackt wurde und dann zog Rafe sie zur Falltür. In dem Moment, als sie nach unten steigen wollten, ertönte hinter ihnen ein Knirschen und Krachen. Der Boden erzitterte und Kate und Rafe blickten sich um. Die Ecke, wo eben noch Henrietta Burke gestanden hatte, war in die Tiefe gestürzt. Mit ihr war auch die Frau verschwunden.
Der Rückweg über die Treppe des Glockenturms war noch gefährlicher als Kate befürchtet hatte. Viele Stufen existierten nicht mehr, und Kate fühlte, wie die schützende Schicht aus kühler Luft, die Rafe erschaffen hatte, wärmer und wärmer wurde. Trotzdem hatte Kate den
Weitere Kostenlose Bücher