Das Buch Rubyn

stieß er Gabriel gegen die Felswand und bearbeitete ihn mit Ellbogen und Fäusten. Gabriel fühlte weitere Rippen knacken. Er warf den Kopf nach oben; sein Schädel krachte gegen das Kinn des Kahlkopfs. Rourke fluchte und warf Gabriel wieder und wieder gegen die Felswand. Gabriels Blick verschwamm. Er konnte nur noch blind um sich treten. Er hörte etwas knirschen, fühlte, wie Knochen unter seinem Tritt nachgaben, dann kam ein Schmerzensschrei, und Rourke ließ ihn los.
    Gabriel lehnte keuchend an der Wand und wartete darauf, dass er wieder klar sehen konnte. Rourke stand gekrümmt vor ihm und hielt sich das Knie.
    »Du verdammter Hund hast mich zum Krüppel gemacht!« Er zog ein langes, blitzendes Messer. »Ich wollte es schnell zu Ende bringen, aber jetzt muss ich dir wohl einen langen, schmerzvollen Tod bereiten.«
    Er sprang vor, und Gabriel, der zu schwach für irgendeine Gegenwehr war, fühlte, wie die Klinge zwischen seine gebrochenen Rippen getrieben wurde. Er hoffte inständig, dass Emma schon weit weg war und nicht sah, was gerade passierte.
    »Aber ich werde dir dabei die Augen öffnen.« Rourke zog das Messer zurück. »Wenn die Bücher wieder beisammen sind – bist du noch am Leben und hörst mir zu? –, wenn das also geschieht, werden die Kinder sterben. Das ist die Wahrheit, mein Junge. Es wurde prophezeit und es wird geschehen. Du siehst also: Die ganze Zeit, während du sie beschützt hast, hatte der alte Pym nichts vor, als die kleinen Lämmchen zur Schlachtbank zu führen. Ich dachte, du würdest das gerne wissen, bevor du stirbst.«
    Und erneut stieß er das Messer in Gabriels Leib.
    Gabriel fühlte den Stahl in seinem Inneren. Er spürte, wie der Vulkan ein letztes Mal erzitterte. Und dann mobilisierte er all seine verbleibenden Kräfte und umklammerte Rourke mit seinen Armen, als der Felsen unter ihnen nachgab. Tief in seinem Herzen glaubte Gabriel, dass Rourke die Wahrheit gesagt hatte. Aber bedeutete dies, dass Pym ihn all die Jahre nur benutzt hatte? Gabriel wusste es nicht. Er wusste nur, dass Rourke die Kinder nicht bekommen durfte. Der kahlköpfige Mann kämpfte gegen ihn an, aber Gabriel hielt ihn eisern umklammert, während beide in die Tiefe stürzten. Erst als er sicher war, dass Rourkes Schicksal besiegelt war – ebenso wie sein eigenes –, ließ er ihn los.
    Und keiner der beiden sah den großen Schatten, der an ihnen vorbei durch den Rauch schoss.
    Als seine Hand aus Emmas Griff rutschte, hatte Michael geglaubt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Er kullerte und rutschte an der schrägen Felswand nach unten, zerfetzte dabei seine Kleidung und zerschrammte sich die Haut, aber als er nach zwanzig Metern unten auf dem Absatz aufschlug, stellte sich heraus, dass er außer ein paar hässlichen Kratzern und einem zweiten verstauchten Knöchel unversehrt war.
    Seine Erleichterung währte nicht lange, denn von hinten packte ihn etwas an der Kehle. Sein Kopf wurde zurückgerissen. Aufkeuchend wurde ihm klar, dass ihn der Schulterriemen seiner Tasche strangulierte. Michael schaffte es, sich auf den Bauch zu rollen, sodass der bis zum Zerreißen gespannte Riemen auf seinem Nacken lag. Vorsichtig spähte er über die Kante nach unten in den Abgrund. Und dort, über dem glühend heißen Magma, baumelte das Skelett, das sich an seine Tasche festklammerte.
    Also ehrlich, dachte Michael. Ich hasse diese Viecher.
    Die Tasche hing zwischen ihm und der Kreatur. Michael streckte sich und zog die Chronik des Lebens aus der Tasche. Das Skelett versuchte, nach oben zu krabbeln, aber Michael nahm sein Messer, verabschiedete sich im Stillen von seinem Tagebuch, dem Kompass, seinen Stiften, der Kamera und dem Taschenmesser sowie der Medaille von König Robbie, und dann schnitt er den Riemen durch und schaute zu, wie der Kreischer und seine Tasche samt Inhalt von der Lava verschluckt wurden.
    Michael rollte sich auf den Rücken. Emma rief seinen Namen und er konnte ihr Gesicht weit über sich sehen. Er hob die Hand und winkte schwach.
    Okay, dachte er, genug ausgeruht. Du bis ja schließlich nicht im Urlaub. Steh –
    In diesem Moment bäumte sich der Vulkan erneut auf und der Absatz unter ihm zerbrach. Michael fühlte, wie er fiel. Er schloss die Augen und drückte die Chronik fest an seine Brust, als ob das Buch ihn irgendwie retten könnte. Und weil er die Augen geschlossen hatte, spürte er nur, wie lange, scharfe Klauen seinen Leib packten. Als er die Augen wieder aufschlug, wurde er von