Das Buch Rubyn
richtig! Und du bist mein Bruder. Ich werde dir immer vertrauen. Sag das deinem blöden Buch! Und jetzt guck mal.«
Fünfzehn Meter über ihnen befand sich eine kleine Tunnelöffnung in der Felswand.
Emma stieß ihn auf die Wand zu und rief: »Kletter hoch!«
Der raue, poröse Fels des Vulkans bot genug Halt für Hände und Füße; Michael konnte mit einem Fuß klettern, allerdings nicht so schnell wie Emma, die ihm in Windeseile weit voraus war. Das eigentliche Problem waren seine Handflächen, die nach kurzer Zeit von dem heißen Fels verbrannt waren und höllisch schmerzten. Aber die Geräusche der Verfolger hinter sich – knochige Finger, die über die Felsen schabten –, ließen ihn den Schmerz vergessen und noch schneller klettern.
Michaels Gedanken drehten sich nur um Emma Worte. Er hätte so gerne gewusst, ob sie es ehrlich gemeint hatte. Dieser Gedanke verlieh ihm neue Hoffnung und Kraft und verscheuchte jene dunklen Schatten, die sich in seinen Geist geschlichen hatten.
Plötzlich durchlief den Vulkan ein ungeheures Zittern, und die Felsen, an die Michael sich geklammert hatte, lösten sich. Hektisch scharrte er mit den Händen an der Wand, während er nach unten rutschte. Sobald er wieder Halt gefunden hatte, schaute er hoch, um sich zu vergewissern, dass Emma unverletzt war – und sah, dass ein Kreischer ihr auf den Fersen war und versuchte, sie von der Felswand zu ziehen.
»Emma!«
Er kletterte hinauf, aber er war noch nicht weit gekommen, als das Skelett mit Emmas Stiefel in der Hand an ihm vorbei nach unten fiel. Michael schaute hoch; Emma grinste und wackelte mit den Zehen ihres rechten Fußes.
»Ich habe die Schnürsenkel aufgeknotet.«
Dann verschwand ihr Lächeln. Michael folgte ihrem Blick. Der Rauch hatte sich verzogen. Gabriel und Rourke waren gut sichtbar. Die beiden Männer standen dicht voreinander. Ihre Waffen waren nur als wirbelnde Schemen wahrzunehmen, das Klirren der Klingen war über dem Grollen des Vulkans nicht zu hören. Gabriel war nicht in der Lage, seinen Gegner anzugreifen; ihm blieb nichts weiter übrig, als Rourkes Hiebe und Stiche zu parieren, die nur so auf ihn niederprasselten. Es schien so, als hätte der kahlköpfige Riese nicht nur eine Waffe, sondern viele, die alle ständig in Bewegung waren. Dann verbarg eine neue Dampfwolke die Kämpfenden vor den Blicken der Kinder. Michael schaute zu Emma hoch und erwartete, dass sie nach unten klettern würde, um Gabriel beizustehen.
Aber Emma hatte sich nicht vom Fleck gerührt, und Michael erkannte, dass sie ihn nicht allein lassen würde, dass sie ihn niemals allein lassen würde. Sie hatte jedes Wort ernst gemeint.
»Hör auf zu träumen!«, schrie sie ihm zu. »Das Viech ist direkt hinter dir!«
Michael kletterte weiter. Er hörte einen weiteren Kreischer an den Felsen unterhalb seiner Füße schaben und scharren, und er redete sich ein, dass Gabriel schon irgendetwas einfallen würde, um diesen Kampf zu gewinnen. Das gelang ihm doch immer.
»Ich bin angekommen!«, rief Emma. »Da ist tatsächlich ein Tunnel. Mach schnell!«
Der Vulkan schien jeden Moment auseinanderbrechen zu wollen. Große Felsbrocken lösten sich aus der Wand des Kegels und wurden förmlich weggesprengt. Aus den Löchern schoss giftiges, kochend heißes Gas. Michaels Arme zitterten vor Erschöpfung. Als er den Absatz erreichte, wo Emma auf ihn wartete, brach der Krater weiter nach innen ein, und Michaels Tasche baumelte unter ihm wie ein Pendel. Emma legte sich auf den Bauch und griff nach ihm. Der Kreischer war schon fast über ihnen.
»Nicht runtergucken! Nimm meine Hand!«
Michael reckte sich und packte die Hand seiner Schwester. In dem Moment umschloss die Knochenhand des Kreischers sein Bein.
»Michael!«
Michaels Körper wurde von der Wand weggerissen. Emma lag flach auf dem Bauch und hielt mit beiden Händen seine Hand, während sich der Kreischer an seine Knie klammerte. Die Kreatur bestand nur aus Knochen und hatte so gut wie kein Gewicht, aber Michael fühlte, wie seine Hand aus Emmas schweißnassen Fingern rutschte.
»Michael! Ich kann dich nicht halten … Michael!«
Das Skelett kroch an Michaels Körper hoch. Seine Fingerknochen bohrten sich in seine Hüfte. Michael tastete nach dem Messer in seinem Gürtel.
»Ich muss …«
»Michael … hör auf … dich zu … bewegen … Ich kann … nicht …«
Und dann glitt seine Hand aus ihrem Griff.
Rourke schien keine Schwäche zu kennen. Er war stärker als Gabriel,
Weitere Kostenlose Bücher