Das Buch Rubyn
den Dämpfen und der Hitze geblendet, die von unten aufstiegen. Er sah nur das Aufblitzen goldener Schuppen, und dann stieg der Drache – denn es war niemand anderes als die völlig geheilte Wilamena in ihrer ganzen Pracht – bereits wieder in die Höhe. Im Flug packte sie zwei weitere Gestalten und schraubte sich mit mächtigen Flügelschlägen noch höher. Emma war über ihnen und schrie und jubelte vor Freude und ohne innezuhalten pflückte Wilamena auch sie noch von der Felswand. Dann gab es eine heftige Explosion, und als Michael nach unten schaute, sah er den gesamten Kessel voll glühender Lava auf sich zuschießen. Sie flogen, höher und höher, heraus aus dem Krater. Schließlich fühlte Michael die kühle Nachtluft auf seinem Gesicht. Er blickte zurück und sah die Lava wie eine Fontäne in die Dunkelheit steigen. Der Drache flog eine Kurve und ging an der Flanke des Berges langsam in den Sinkflug, und da lag die Festung, umflossen von Strömen aus Lava. Ganz oben auf dem Turm kauerte sich ein kleines Grüppchen zusammen.
Der Drache schwebte näher, und der Elfenhauptmann und sechs erschöpfte, blutende Elfen wichen voller Ehrfurcht und Erstaunen zurück. Wilamena setzte Michael, Emma und Gabriel ab und hockte sich dann auf die geborstene Mauer. Rourke hielt sie immer noch mit ihren Krallen umklammert.
»Hoheit, Ihr seid am Leben!« Der Hauptmann fiel auf die Knie. »Ich werde eine Ode dichten …«
»Später«, knurrte der Drache. »Seid ihr die einzigen Überlebenden?«
»Ja. Es gelang dem Schurken, im Bergfried an uns vorbeizukommen. Wir haben uns nach oben gekämpft, weil wir dachten, hier die Kinder vorzufinden. Dann saßen wir in der Falle.«
Plötzlich stieß der Drache einen Schmerzensschrei aus. Rourke, der sich aus den Krallen gewunden hatte, taumelte und fiel über die Mauer hinunter in den Abgrund. Sein Messer steckte im Bein des Drachen, zwischen zwei dicken Schuppen. Michael zog es heraus und spähte über die Mauer.
»Er ist weg! Ich kann ihn nirgends sehen!«
Dunkles Blut floss über Wilamenas Bein.
»Tut es sehr weh?«, fragte Michael.
Wilamena, der Drache, schien fast zu lächeln. »Es geht mir gut, Hasi.«
»Michael!« Emma kniete neben Gabriel. In ihren Augen stand Panik. »Gabriel ist schwer verletzt! Du musst ihm helfen!«
Aber als Michael die Chronik des Lebens öffnen wollte, erzitterte der Turm, und Hauptmann Anton erklärte, sie könnten hier nicht bleiben; Michael müsse warten, bis sie in Sicherheit waren, um seinem Freund zu helfen. Die Elfen hoben den bewusstlosen Gabriel auf den Rücken des Drachen und Emma kletterte hinter ihm hinauf. Michael setzte sich vor ihn, sodass sie beide mit ihren Körpern den verwundeten Mann sicherten. Dann packte der Drache die restlichen Elfen, breitete die Flügel aus und erhob sich mit einem mächtigen Satz in die Luft. Als Michael zurückblickte, sah er, wie die gesamte Festung im aufgebrochenen Kegel des Vulkans versank.
»Schneller!«, schrie Emma, und ein Aufschluchzen ließ ihre Stimme brechen. »Ich glaube … ich glaube, Gabriel stirbt!«
»Euer Freund ist stark«, sagte der Drache. »Er wird nicht sterben. Das werden wir nicht zulassen.«
»Wohin bringst du uns?«, fragte Michael.
»Nach Hause, Hasi. Ich bringe euch nach Hause.«
Die große Kirchturmglocke sauste ihnen entgegen. Rafe lag bewegungslos unter einem Haufen herabgestürzter Holzbalken. Kate kauerte an der Tür, ohne die Möglichkeit, noch rechtzeitig zu Rafe zu kommen. Sie konnte nur schreien …
» STOPP! «
Sie kniff die Augen zu.
Eine Sekunde verging. Dann zwei. Drei …
Wo blieb der Aufprall? Das Erzittern des Bodens? Alles war still und Kate spürte nichts außer dem Hämmern ihres Herzens.
Langsam öffnete sie die Augen. Die Szene war unverändert: Die Glocke war noch genau da, wo sie gewesen war – etwa fünf Meter über Rafes Kopf. Nur fiel sie nicht. Sie hing einfach bewegungslos in der Luft. Kate schaute sich um. Die Flammenzungen, die an der Wand emporleckten, waren erstarrt. Und dann fiel ihr auf, wie still es war. Das Brüllen des Feuers, das Knacken und Splittern von Glas, das Brechen von Holz – alles war zum Stillstand gekommen.
Sie rappelte sich auf und stand einfach nur da.
Henrietta Burke hatte gesagt, dass die Magie des Buches Emerald ein Teil von ihr war, dass sie nur aufhören müsste, dagegen anzukämpfen. In dem Moment, als sie die Worte der Frau vernommen hatte, wusste Kate, dass sie die Wahrheit sagte. Seit Kate die
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