Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
Vom Netzwerk:
Gräfin in die Vergangenheit gerissen hatte, spürte sie die Macht in ihrem Innern. Aber sie hatte sie unterdrückt, wollte sie nicht akzeptieren.
    Und dann, als sie gesehen hatte, wie die Glocke Rafe zu zerschmettern drohte, waren alle Mauern, die sie in ihrem Inneren errichtet hatte, einfach zusammengefallen.
    Aber wieso war es so unheimlich still?
    Im selben Moment wusste Kate die Antwort.
    Ich habe die Zeit angehalten.
    Sie fühlte die Anstrengung. Es war, als ob sich in ihrem Inneren ein Damm befände, und der Fluss würde nun mit aller Macht versuchen, die Barriere zu durchbrechen. Sie merkte, dass sie nicht viel länger durchhalten konnte.
    Sie machte einen Schritt auf Rafe zu – und blieb stehen.
    Ein schrecklicher Gedanke hatte von ihr Besitz ergriffen.
    Rafe war es bestimmt, der nächste grässliche Magnus zu werden. Er war der Grund, warum ihre Eltern sie, Michael und Emma verlassen hatten, warum sie und ihre Geschwister die letzten zehn Jahre in Waisenhäusern verbracht hatten. Er war der Grund, warum sie ohne Eltern hatten aufwachsen müssen. Sie musste sich nur entspannen, musste der Zeit ihren Lauf lassen. Die Glocke würde niederfallen und ihre Familie würde wieder vereint sein.
    Sie blieb noch eine Sekunde länger stehen.
    Dann bat sie stumm ihre Familie um Verzeihung.
    Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Aber ich kann es nicht tun.
    Sie eilte zu Rafe, packte ihn an den Handgelenken und zog ihn aus dem Haufen zersplitterten Holzes.
    Ohne nachzudenken, schleppte sie ihn durch das Kirchenschiff. Es kostete sie ungeheure Anstrengung und äußerste Konzentration, die Zeit in Schach zu halten. Je länger sie angehalten wurde, desto stärker wurde der Druck. Kate zog den Jungen durch ein Loch in einer halb zusammengefallenen Wand hinaus auf die dunkle, leere Straße. Dort legte sie ihn ab und brach neben ihm zusammen.
    Dann ließ sie los.
    Sie fühlte ein Donnern und Brüllen in sich und die Geräusche der Welt kehrten zurück. Sie hörte das Knistern des Feuers, das Krachen und Bersten der Glocke, die auf den Steinboden prallte, das Grölen und Rufen der Menschen vor der Kirche. Sie lag auf Händen und Knien, keuchend und klatschnass vor Schweiß.
    »Was … wo …?«
    Rafe hatte die Augen aufgeschlagen. Die kalte Luft hatte ihn belebt. Er stand mühsam auf, blickte sich verwirrt um und schaute dann zu Kate.
    »Hast du …? Wie bin ich hierher gekommen?«
    Kate zitterte immer noch vor Anstrengung. Sie holte ein paar Mal tief Atem und richtete sich taumelnd auf.
    »Sie hatte recht … Miss Burke sagte, dass die Magie in mir sei. Ich hatte … bloß Angst, sie einzusetzen. Ich habe die Zeit angehalten. Ich habe dich aus der Kirche gebracht.«
    »Du hast mich rausgebracht?«
    »Ja.«
    »Du hast mir das Leben gerettet.«
    »Ja.«
    Und so war es. Egal, was von nun an geschah, ob es gut sein würde oder schlecht, sie hatte sich entschieden, sein Leben zu retten. Die Kirche brannte lichterloh und hinter der nächsten Ecke brüllte und tobte der Mob. Der Junge starrte sie an.
    »Dann kannst du jetzt heimkehren. Zurück zu deinem Bruder und deiner Schwester.«
    Kate nickte.
    Dann verdunkelte sich sein Blick. »Miss B ist tot.«
    Kate fühlte seinen Zorn und seine Traurigkeit so deutlich wie die Hitze des Feuers.
    Dann ertönte ein Grollen, und als sie sich umdrehten, sahen sie, dass der Glockenturm schwankte und einstürzte. Das Fundament war von den Flammen verzehrt. Die Menge jubelte, als der Turm mit einem lauten Krachen das Dach der Kirche durchschlug. Rauch und Funken sprühten in den Nachthimmel.
    Mit einem Schrei rannte Rafe zu einem zerbeulten Eisenzaun, riss eine Stange los und stürmte damit auf die andere Seite der Kirche.
    Kate schrie seinen Namen und lief ihm auf zitternden Beinen nach.
    Als sie um die Ecke bog, sah sie, dass sich mittlerweile gut vierzig Männer mit Fackeln und Knüppeln versammelt hatten. Sie johlten und lachten und ihre Gesichter wirkten im Feuerschein wie dämonische Fratzen. Keiner merkte, wie der Junge auf sie zugerannt kam. Rafes Angriff hatte nichts mit Zauberei zu tun, nur mit heißer, blinder Rachsucht. Er hieb einem untersetzten Mann mit Bierbauch die Stange auf den Kopf. Kate hörte es knacken und der Mann ging zu Boden. Dann stürzte er sich auf drei Jugendliche, von denen jeder einzelne größer und stärker war als er selbst. Dem ersten hieb er die Faust zwischen die Schultern. Der junge Mann ließ die Fackel fallen und sank mit einem Grunzen auf die Knie. Dem

Weitere Kostenlose Bücher