Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens
Vom Netzwerk:
Spiegel. Kate erkannte das Mädchen kaum, das ihr dort entgegenblickte. In dem altmodischen, hochgeschlossenen Kleid sah sie aus wie eine junge Frau aus einem Roman oder einem Film. Ihre blonden Haare glänzten. Sie waren hochgesteckt und betonten Linien und Kurven in Kates Gesicht, von denen Kate nicht einmal gewusst hatte, dass sie sie besaß. Sie betrachtete ihre Nägel, an denen keine Spur ihrer nervösen Knabberei mehr zu erkennen war.
    »Ja«, sagte Rourke, »jetzt bist du bereit.«
    Er führte sie eine Treppe hinauf. Anders als im Rest des Hauses, war es hier still und friedlich. Kate und der große Mann gingen durch einen schwach beleuchteten Flur. Die Holzdielen knarrten unter Rourkes Gewicht. Kate schaute aus dem Fenster und sah, dass es bereits dunkel wurde. Der Abend brach an. Es schneite wieder.
    Und dann, mitten auf dem Flur, hörte sie das Geigenspiel.
    Kate stolperte. Die Beine drohten, unter ihr nachzugeben.
    »Immer langsam«, sagte Rourke und hielt sie am Ellbogen fest.
    Es war nicht Rafes Geigenspiel, nicht die klagende, winterlich-melancholische Melodie, die er an diesem Morgen gespielt hatte. Dies war jene Musik, die Kate auf dem Schiff der Gräfin gehört hatte. Sie war fiebrig und verführerisch zugleich. Es war ein Lied, das erklingen würde, wenn die Welt in Flammen stünde. Der grässliche Magnus war gekommen.
    Am Ende des Flurs stand ein Gnom. Er öffnete eine Tür, als Kate und der kahlköpfige Mann herankamen. Die Musik strömte aus dem Raum hinter der Tür und Rourke legte eine Hand an Kates Rücken. Mit einem Schubs beförderte er sie ins Zimmer, wie man eine Maus in einen Schlangenkäfig schieben würde. Dann schlug die Tür hinter ihr zu.
    Mit Mühe behielt Kate das Gleichgewicht. Die Geige verstummte. Kate stand auf einem schmalen Kiesweg, der durch einen Dschungel zu führen schien. Ringsum wuchsen ölig glänzende, dickblättrige Pflanzen, hohe, mit stacheligen Wedeln versehene Palmen, ausladende Farne, Gewächse mit orangefarbenen, roten, gelben und violetten Blütenbüscheln. Alles war üppig und fruchtbar, die Luft warm und feucht. Kate blickte nach oben und sah dort die Glaskuppel des Treibhauses. Die Hitze hatte die Scheiben beschlagen lassen und vernebelte die Welt außerhalb des Hauses.
    Eine Stimme sprach aus den Tiefen des Dschungels: »Komm zu mir, Kind.«
    Kate erschauerte. Sie kannte diese Stimme. Es war die Stimme jenes Wesens, das in den Körper der Gräfin gefahren war. Sie war kalt, uralt und gnadenlos.
    »Ich bin es nicht gewohnt, etwas zweimal zu sagen.«
    Ganz langsam setzte Kate auf dem Kiesweg einen Fuß vor den anderen. Die kleinen Steine knirschten unter den Sohlen ihrer neuen Stiefel. Sie hielt den Atem an und bereitete sich darauf vor, ihrem Feind ins Auge zu sehen. Als sie um eine Biegung kam, wich der Dschungel zurück und der Weg endete in einer Sackgasse. Und dort, umringt von einem tropischen Regenwald, saß ein alter Mann in einem hölzernen Rollstuhl, eine Decke auf dem Schoß ausgebreitet.
    Er war der älteste Mensch, den Kate je gesehen hatte, mehr Skelett als Mensch. Es war, als ob ihm das Fleisch ausgesaugt worden wäre und der Körper nur noch von Haut und Knochen zusammengehalten werden würde. Er war knorrig und verdreht, wie ein uralter Baum, und sein Leib war eingesunken. Aber seine Hände und sein Kopf waren auf groteske Weise übergroß. Seine schuppige Haut schimmerte grünlich. Er sah aus wie etwas, das aus einem Grab gekrochen war. Er hob den klobigen Kopf, und Kate sah, dass die Augen des alten Mannes getrübt waren. Er schnippte mit den Fingern und ihm gegenüber erschien ein Stuhl.
    »Setz dich.«
    Als Kate sich nicht rührte, ertönte ein Zischen. Eine unsichtbare Macht riss sie vorwärts und stieß sie auf den Stuhl.
    »So ist es besser.«
    Die Stimme war immer noch dieselbe wie die, welche sie auf dem Schiff der Gräfin vernommen hatte – voller Energie und Lebenskraft. Aber war dieser Greis wirklich der grässliche Magnus? Kate hatte sich den grässlichen Magnus als eine Person von unvorstellbarer Macht vorgestellt, nicht als ein schwächliches Wrack mit milchigen Augen.
    Der alte Mann grinste und entblößte einen Mund voll gelber und zersplitterter Zahnstümpfe.
    »Du fragst dich, wie dieser Kadaver, der vor dir sitzt, der grässliche Magnus sein kann, nicht wahr? Wie ist es möglich, dass er eine derartige Macht beansprucht und Angst und Entsetzen in die Herzen der Menschen sät? Nun, man könnte sich auch fragen, wieso ein

Weitere Kostenlose Bücher