Das Buch Rubyn
getötet.«
»Aber die Bücher haben Sie nicht bekommen, nicht wahr?«
Der alte Mann wandte ihr seine blassen Augen zu, und ein unsichtbares Gewicht legte sich auf Kates Brust. Im Gesicht des Mannes ließ sich keine Regung erkennen. Das Gewicht wurde schwerer. Kate war entschlossen, weder zu schreien, noch um Gnade zu flehen, aber die Last wurde immer erdrückender, und schließlich ächzte sie, nach Atem ringend: »Aufhören! Bitte!« Der Druck verschwand und sie holte tief Luft.
»Du hast recht, Kind«, fuhr der Alte fort, als ob nichts geschehen wäre. »Als ich in dem Gewölbe ankam, waren die Bücher verschwunden. Zweieinhalb Jahrtausende habe ich nach ihnen gesucht. Und währendessen wurden die Menschen stärker und die magische Welt schwächer. Und wie soll jetzt dieses Problem gelöst werden? Wir verkriechen uns wie Hunde. Aber ich habe noch nicht aufgegeben. Ich werde die Bücher finden, und dann wird die Menschheit erzittern. Deine Ankunft ist nur das erste Zeichen. Sag mir, wo sind die beiden anderen Bücher?«
»Ich weiß es nicht.«
Er lachte. »Ich glaube, du bist nicht ganz ehrlich zu mir.«
Er krümmte einen knorrigen Finger, und Kate fühlte, wie die Magie in ihrem Inneren aufstieg. Sie versuchte, sie zu unterdrücken, aber der Mann war zu stark. Das Treibhaus verschwand und Kate war plötzlich an einem ganz anderen Ort. Und dann – sie musste einen Aufschrei unterdrücken – sah sie Michael.
Feuer umloderte ihn. Er hielt ein Buch mit einem roten Ledereinband an die Brust gedrückt. Kate war allerdings klar, dass sie nicht wirklich bei ihm war und Michael sie nicht sehen konnte.
So schnell wie das Bild gekommen war, verschwand es, und Kate war wieder im Treibhaus. Sie fühlte, wie die Magie in ihr zur Ruhe kam.
»Wie du siehst, Kind, weißt du es sehr wohl. Das war die Chronik des Lebens. Und derjenige, der sie hielt – war das dein Bruder?«
Kate packte die Armlehnen des Stuhls, auf dem sie saß, und schwieg.
»Nun, wir werden uns später damit beschäftigen. Jetzt haben wir andere, wichtigere Dinge zu erledigen.« Sein Rollstuhl kroch wieder ein paar Zentimeter vorwärts und der Mann schob seinen riesenhaften Kopf zu Kate heran. »Denn die Trennung ist nicht der eigentliche Grund, warum die heutige Nacht von solcher Bedeutung ist. Heute Nacht ist etwas ganz Besonderes«, sagte er und zeigte sein gelbzahniges Grinsen, »weil ich sterben werde.«
»Was?«
Mehr brachte Kate nicht heraus. Aus dem Augenwinkel sah sie eine große rote Schlange rechts von sich durchs Unterholz kriechen. Sie achtete nicht darauf. Der alte Zauberer kicherte.
»Bist du überrascht? Hast du gedacht, der grässliche Magnus sei unsterblich? Aber der Tod ist der Ozean, in den alles Wasser fließt. Elfen mögen Tausende von Jahren leben, Zwerge ein paar Hundert. Zauberer und Hexen sind den Menschen sehr ähnlich; wir leben ein oder zwei Jahrhunderte. Danach müssen wir zu entsprechenden Maßnahmen greifen, wenn wir unser Leben verlängern wollen. Der Körper, den du vor dir siehst, ist dreihunderteinundvierzig Jahre alt, und heute Nacht werde ich endlich sterben.«
»Aber … ich verstehe nicht. Wir … wir begegnen uns in … der Zukunft.«
»Du wirst mir begegnen, bist mir schon begegnet, ja. Aber du sahest einen anderen. Was geschieht, wenn ein König stirbt? Ein neuer König nimmt seinen Platz ein, erbt alle Titel und die Macht des alten und gewandet sich in den Umhang des toten Herrschers. Der grässliche Magnus ist ein Mensch, aber gleichzeitig viele Menschen.
Ich bin der neunte Magnus. Ich wurde als Junge auserwählt. Ich hatte keine Ahnung, wer ich war, was mein Schicksal sein würde. Ich wurde berufen. Und als ich erwachte, nahm ich nicht nur den Titel des grässlichen Magnus an, sondern all die Macht und die Erinnerungen meines Vorgängers, des achten Magnus. Und wenn ich heute Nacht sterbe, werde ich ebenfalls wiedergeboren werden, denn ich werde Macht und Geist an meinen Nachfolger übergeben. Er wird uns in die Zukunft führen. Wird der größte und mächtigste von uns allen sein. Und der letzte. Es wird ihm zufallen, die Welt wieder zu dem zu machen, was sie einstmals war. Und er wird nicht versagen.«
Kate schüttelte den Kopf. Die Hitze des Raums ließ sie schwindelig werden.
»Es gibt … noch einen? Noch einen grässlichen Magnus?« In dem Moment, in dem sie die Frage stellte, kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Sie fühlte Angst in sich aufsteigen. »Wer ist es?«
»Ein Junge. Es ist immer
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