Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
konnte.
»Ein Geheimnis?« Zumindest unterbrach Hugo abermals den Kauvorgang.
»In der Tat, Sire. Etwas, das Eurem Bruder so wichtig war, dass er es mit kaum jemandem teilte.«
»Mein Bruder, Pater, ist nicht mehr am Leben. Seine Feinde haben ihn aller Wahrscheinlichkeit nach vergiftet, und der einzige Grund, dass ich noch unter den Lebenden weile, ist der, dass er mich an jenen Geheimnissen nicht teilhaben ließ. Ich weiß sehr wohl, dass es Dinge gab, die er selbst vor mir verschwiegen hat, und ich nehme an, er hatte gute Gründe dafür. Warum sollte ich etwas daran ändern?«
»W eil, mein Herr, wir in einer besonderen Zeit leben, in einem Jahrhundert, das seinem Ende entgegengeht. Früher, da ich als Prediger durch die Lande zog, da sprach ich vom kommenden Himmelreich Gottes – freilich ohne zu ahnen, dass es schon so nah sein könnte. Ich habe die Zeichen der Natur gesehen und wusste, dass sie etwas Großes bedeuten, umwäl z ende Veränderungen, aber erst viel später habe ich begriffen, worum es dabei tatsächlich ging.«
»Und das soll mich beruhigen? Ein Mann tut gut daran, den Platz zu kennen, der ihm vom Schicksal zugewiesen wurde, sei er nun Herr oder Knecht. Die Mächtigen mögen Veränderungen nicht, schon gar nicht, wenn sie mit Glaubensdingen einhergehen. Es ist gefährlich, von derlei Dingen zu sprechen, und anders als meinem Bruder fehlt mir dazu der Mut – oder sollte ich von Dummheit sprechen? Ich habe kein Verlangen danach, Besuch von dieser Hexe zu erhalten.«
»V on welcher Hexe?«, fragte Berengar verblüfft.
Hugo de Monteil lächelte schwach. »W enn Ihr meinen Bruder so gut kanntet, wie Ihr behauptet, dann wisst Ihr, von wem ich spreche. Er hatte Angst vor ihr – vor ihr und diesem Geheimbund, der vorgibt, den heiligen Reliquien nachzuspüren, und im Grunde doch nur den eigenen Vorteil im Sinn hat.«
»Die Bruderschaft der Suchenden«, murmelte der Mönch. »Ihr sprecht von Guillaume de Rein.«
»Nicht von ihm, sondern von seiner Mutter. Weder kann ich es beweisen, noch weiß ich, was genau sie Adhémar angetan hat – aber wenige Tage nachdem sie ihn in seinem Haus besuchte, war er tot.«
»Eleanor de Rein«, flüsterte Berengar betroffen.
»Sie ist es, die in Wahrheit die Geschicke der Bruderschaft lenkt. Solange Ihr keinen Plan habt, wie ihr beizukommen ist, lasst mich in Frieden! Geheimnisse religiöser Natur interessieren mich nicht.«
»Aber …«
»W achen!«, brüllte der Graf mit lauter Stimme, und die beiden Kämpen, die vor der Tür postiert waren und Berengar schon vorhin so grimmig gemustert hatten, platzten herein. »Hinaus mit ihm«, sagte Hugo nur, und ehe Berengar sich’s versah, hatten die beiden ihn bereits an Kapuze und Leibstrick gepackt und zerrten ihn aus der Halle und hinaus a uf die Straße, wo sie ihn mit einem Fußtritt in den Staub beförderten, zur Belustigung zahlreicher Passanten.
Stöhnend richtete sich der Mönch wieder auf, bemüht, einen letzten Rest an Würde zu bewahren. Sein Plan, Bischof Adhémars Bruder ins Vertrauen zu ziehen und ihn für die Suche nach der verschollenen Lade zu gewinnen, war gescheitert – doch gleichzeitig hatte der Graf ihm auch eine neue Lösung aufgezeigt.
Wenn Hugo de Monteil zu ängstlich war, ein Jahrtausende altes Geheimnis zu lüften und seinen Namen ins steinerne Buch der Geschichte zu meißeln, würde Berengar eben die Hilfe von jemand anderem suchen müssen, dem es nicht an Mut und Entschlossenheit fehlte.
Die Lösung, die der Graf unwillentlich vorgeschlagen hatte, trug den Namen einer Frau.
Eleanor de Rein.
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15.
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Antiochia
30. Dezember 1098
Die schmerzvollen Schreie waren in dem unterirdischen, von Säulen getragenen Gewölbe verhallt, der Geruch von verbranntem Fleisch hatte sich verflüchtigt.
Unbewegt und ohne eine Spur von Mitleid hatte Guillaume de Rein zugesehen, wie fünf neue Mitglieder in die Bruderschaft aufgenommen worden waren. Junge Ritter, denen man wie einst ihm selbst den feierlichen Eid abgenommen hatte, ihr Leben in den Dienst der Suche zu stellen, und denen man anschließend jenes Zeichen in den Unterarm eingebrannt hatte, an dem die Mitglieder der Bruderschaft zu erkennen waren – das Kreuz mit den sich verbreiternden Armen.
Es war nur der Auftakt der großen Zusammenkunft gewesen, zu der sich die führenden Mitglieder der Bruderschaft getroffen hatten, jener nicht unähnlich, die einst in Caen stattgefunden hatte, damals, als Guillaume selbst Zugang zum Kreis der
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