Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
einem der halbrunden Fenster drang. Sein Herz klopfte unwillkürlich schneller.
Was dann geschah, bekam er nur am Rande mit.
Nun, da er ihre Nähe bereits fühlen konnte, fieberte er dem Wiedersehen mit Chaya so gespannt entgegen, dass alles andere darüber an Bedeutung verlor. Wie würde sie reagieren? Würde sie sich über seinen Besuch freuen? Und was würde sie sagen, wenn er ihr die Wahrheit gestand? Weder nahm Conn bewusst wahr, wie man ihm die Tür öffnete, noch wie er über eine schmale steinerne Treppe nach oben stieg. Seine Zeit ging erst weiter, als er in einer unscheinbaren kleinen Kammer stand und Chaya in die Augen blickte.
Weder um der Gerechtigkeit noch um seines Schicksals willen hatte er den weiten Weg auf sich genommen, das wurde ihm in diesem Moment klar. Er war einzig und allein ihretwegen hier.
»Conn!«
Sie kam auf ihn zu und fasste seine Hände. Als er allen früheren Beteuerungen zum Trotz Wiedersehensfreude in ihren A ugen aufflackern sah, zog er sie an sich und küsste sie. Von der Macht des Augenblicks überwältigt, erwiderte sie seine Zärtlichkeit, bis ihr zu dämmern schien, was sie tat – und sie sich abrupt von ihm löste.
»W oher …?«, fragte sie, mit bebenden Händen nach ihren Lippen tastend, so als hätten sie eine verbotene Frucht gekostet.
»Aus Akkar«, gab Conn zur Antwort. Er konnte ihr ansehen, wie bestürzt und verwirrt sie war, und es tat ihm leid. Anders als er hatte sie keine Zeit gehabt, sich auf dieses Treffen vorzubereiten.
»Akkar«, wiederholte sie verständnislos.
»Die Kreuzfahrer haben Antiochia verlassen und sind weiter nach Süden gezogen. Ihr Ziel ist Jerusalem.«
»Ich weiß. Ich habe davon gehört, aber ich …«
Sie unterbrach sich, als plötzlich helles Geschrei erklang. Erst jetzt sah Conn die kleine Wiege, die ganz hinten in der Kammer stand. Mit aufgeregt pochendem Herzen trat er vor, um einen Blick auf das Kind zu erhaschen, das darin lag.
Sein Kind …
Conn wusste nicht, ob der strampelnde Knabe, der seine Hände zu kleinen Fäusten geformt hatte, ihm in irgendeiner Weise ähnlich sah. Aber eine Woge der Zuneigung erfasste ihn, als er das kleine Geschöpf erblickte.
»W illst du ihn halten?«, fragte Chaya leise.
Conn nickte zögernd, worauf sie sich hinabbeugte und das Kind aus der Wiege nahm. Im nächsten Moment hielt Conn den Kleinen selbst im Arm.
»Mein Kind«, flüsterte er und merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, überwältigt von dem kleinen zerbrechlichen Wesen, das zu ihm heraufschaute.
Chaya beobachtete Conn, der Anblick schien sie glücklich und traurig zugleich zu machen.
»Geht es dir gut?«, fragte sie.
»Ja, was ich nur dir verdanke.«
»Du bist gekommen, um dich zu bedanken?«
E r küsste das Kind sanft auf die Stirn, dann gab er es ihr zurück. »Ja und nein. Ich bin hier, weil ich dir etwas gestehen muss, Chaya. Es wäre einfacher, es dir zu verschweigen, denn vermutlich würdest du die Wahrheit niemals erfahren. Aber das will ich nicht.« Er schaute sie direkt an. »Ich will ehrlich zu dir sein. Das bin ich dir schuldig nach allem, was du für mich getan hast.«
»Du machst mir Angst, Conn«, gestand sie, während sie den Knaben sanft zurück in die Wiege bettete. »W ovon sprichst du?«
»Das Buch von Ascalon. Ich weiß, wo es ist.«
»Du weißt es?«
Conn nickte. Ihr Blick war so voller Unverständnis, dass ihm das Weitersprechen schwerfiel. »Dies zu erfahren wird nicht einfach für dich sein, aber ich bitte dich, mich zu Ende berichten zu lassen.«
Nun war es Chaya, die wortlos nickte. Die Zuneigung jedoch, die Conn eben noch in ihren Zügen zu erblicken glaubte, war blanker Verunsicherung gewichen.
»In jener Nacht, der Nacht vor dem Abschied, als wir am Strand zusammen waren, hat jemand unser Vertrauen und unsere Freundschaft auf schändliche Weise missbraucht. Heimlich hat er uns beobachtet, sich dann im Schutz der Nacht angeschlichen und das Buch an sich genommen.«
»W er?«, fragte Chaya, ihrer Zusicherung zum Trotz.
»Berengar. Er hatte dich beobachtet und wusste von dem Buch. Und als der Augenblick günstig war, hat er es gestohlen.«
»Also doch«, sagte Chaya voller Bitterkeit.
»Ich wusste nichts davon. Als ich Berengar deswegen zur Rede stellte, hat er mich dreist belogen …«
»… und du hast ihm geglaubt?«
»W arum auch nicht? Ich glaubte, Berengar wäre mein Freund. Außerdem ist er ein Mann der Kirche.«
»Hättest du ihm auch geglaubt, wenn er ein Jude
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