Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
ränge er im Schlaf mit den Göttern der Blindheit, ein Kampf ohne Hoffnung. Schließlich sprach er mit Libuse darüber, und sie war es, die uns die Wahrheit sagte: Schon seit Sofia vermochte ihr Vater den Tag nicht mehr von der Nacht zu unterscheiden. Corax war unabänderlich und ohne jeden Ausweg erblindet. Bald erkannten wir, wie sehr er mit sich zu kämpfen hatte, und schließlich erzählte uns Libuse von seiner Angst vor der Dunkelheit. Welche schlimmere Strafe kann es für einen Menschen geben, der das Dunkel fürchtet, als eine Verbannung in ewige, unausweichliche Finsternis?
Ich fürchtete, dass dies auch Libuse verändern würde, doch zu meinem Erstaunen zeigte sie keine Anzeichen von Hoffnungslosigkeit. Sie schien sich mit dem Schicksal ihres Vater s a bgefunden zu haben, sie nahm es hin als die Katastrophe, die es war, weigerte sich aber, daran zu verzweifeln. Dafür bewunderte ich sie nur noch arger.
Ich muss gestehen, sie bedeutete mir mit jedem Tag mehr, und auf eine Weise, die sich von meiner Zuneigung zu Favola unterschied. Ich vermag den Unterschied nicht zu benennen, und vielleicht lässt er sich gar nicht in Worte fassen. Doch er war da, ganz ohne Zweifel, und die Gewissheit meiner Gefühle für sie war mir Schmerz und Wonne zugleich. Ich fühlte mich Favola gegenüber schuldig, doch wie sollte ich aufhalten, was nicht aufzuhalten war? Ich weiß nicht, ob Gott die Karten mischt, die unsere Zuneigung von einem zum anderen flackern lässt, oder ob wir selbst die Schuld daran tragen, unstete Geister durch und durch. Ich litt und ich frohlockte zugleich, aber wenn es ein Gefühl gibt, das ich keinem Menschen wünsche, dann ist es jene Ungewissheit des eigenen Empfindens. Die Unschlüssigkeit, die Scham, das elende Sichschuldigfühlen. Und das alles durchmischt mit genug Verwirrung, um Armeen zu zerstreuen und Kriege zu entscheiden.
Libuse spürte, was in mir vorging, ich sah es an ihren Blicken, merkte es an der Art und Weise, wie sie mir manchmal auswich, um mich nicht in noch schlimmere Bedrängnis zu bringen. Natürlich fragte ich mich an jedem Tag, in jeder Stunde, was es wohl war, das sie an mir mochte. Anfangs hatte sie keinen Hehl aus ihrer Abneigung gemacht. Und dann, irgendwann, vielleicht auf der Donau, vielleicht auch erst, als sie mein Leben rettete, hatte sich etwas verändert. Aus dieser Wandlung war etwas Neues entstanden, etwas Tieferes, Wunderbares, Beängstigendes.
Favola ahnte es. Oder auch nicht. Da seht Ihr, wie weit meine Menschenkenntnis reicht. Nicht einmal dessen konnte ich sicher sein.
Trotz dieser Irrungen in meinem Inneren war meine Verbundenheit zu Favola ungetrübt. Sie suchte meine Nähe, un d o ft hielten wir uns an den Händen – immer mit Handschuhen, versteht sich –, während wir abends gemeinsam ums Feuer saßen und den Geschichten des Magisters lauschten. (Wir übernachteten auch in Gasthöfen, die jedoch spätestens seit Nisch immer fremdländischer wurden, sonderbare Getränke ausschenkten und die wunderlichsten Speisen feilboten.)
Seit Favola die Lumina verloren geglaubt hatte, pflegte sie die Pflanze mit noch größerer Hingabe. Sie goss sie sorgsam mit geweihtem Wasser und hielt sie ins Tageslicht, so oft es nur ging. Nicht selten sah ich sie stumm, aber mit bebenden Lippen, zur Lumina sprechen, und meist sah es aus, als erhielte sie eine Antwort, denn ihr Gesichtsausdruck war dabei der einer Lauschenden. Sie gab den Schrein nicht mehr aus der Hand, trug ihn überall mit sich, selbst bei der kleinsten Verrichtung. Einmal sagte sie, mein vermeintliches Ertrinken in der Morava habe ihr das Herz aus der Brust gerissen; der Verlust der Lumina aber ließe sich nicht mit solchen Vergleichen ermessen. Die Pflanze war Teil von ihr, war ihr Atem, ihr Fühlen, ihr Herzschlag.
Albertus hatte den Beutel mit Medizin aus den Beständen des königlichen Leibarztes so weit aufgefüllt, dass er die Menge des Mittels, das er Favola verabreichte, erhöhen konnte. Und, siehe da, sie blühte auf. Ihre Gesichtsfarbe blieb blass, und noch immer ging sie manchmal leicht gebeugt, als drücke etwas von oben sie hernieder – doch ihre Stimmung wurde geradezu unbeschwert, wozu auch die Freude an ihrem Ross beitragen mochte. Ihre Miene hellte sich auf, und sie begann, ein wenig von ihrer Kindheit zu erzählen, Beiläufiges und Kleinigkeiten, die Libuse und mir dennoch wie Offenbarungen erschienen. In dieser zarten, verletzlichen Novizin steckten alle Freuden, Empfindungen und
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