Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
der legendären Bibliothek von Bagdad selbst. Doch als wir dann noch immer keine Ruhe gaben, sagte Albertus – und das womöglich nur, weil er bereits den dritten Krug türkischen Biers getrunken hatte –, dass wir ihm keine andere Möglichkeit ließen, als das Wort an Corax abzugeben.
    Genauso sagte er es. » An Corax. «
    Man mag sich vorstellen können, dass wir da alle recht verblüfft dreinschauten. Am gespanntesten aber war Libuse, denn nun schien endlich die Stunde gekommen, da Corax gezwungen war, sein ehernes Schweigen über die Vergangenheit zu brechen.
    *
    Bevor ich euch aber schildere, was Corax uns offenbarte, will ich noch etwas zu unserer allgemeinen Verfassung sagen. Ein Abenteuer wie dieses hinterlässt an jedermann Spuren, und wir waren gewiss keine Ausnahme. Jeder von uns fünfen war müde und ausgelaugt. Nicht in jenem Sinne, wie man es manchmal des Nachts ist, wenn einen die Glocke zur nächsten Messe ruft und man seit der letzten noch kein Auge zugetan hat, wegen Kälte oder Ungeziefer oder beidem. Unsere Müdigkeit war keine, die einen gähnen lässt oder zum Einnicken während der Fürbitte bringt. Nicht unser Geist war schläfrig, jedenfalls nur selten und niemals, wenn es wirklich darauf ankam. Nein, unser Gemüt war es, das laut nach Ruhe verlangte; unser Wille, der längst nicht mehr so gefestigt war; und ich will nicht erst von meinem Glauben beginnen, denn er wankte und schwankte mit solcher Beharrlichkeit, dass ich manchmal selbst nicht zu sagen vermochte, ob Gott mir noch nahe war oder nicht. Zweifelsohne betete ich, vielleicht sogar mehr als zu Beginn der Reise, und es gab Tage, an denen ich den Allmächtigen anflehte, sich unserer zu erbarmen und das vermaledeite Erdloch, aus dem der Jünger einst die Lumina gezogen, vor uns aufzutun. Aber keines dieser Gebete war eine ehrliche Zwiesprache mit Gott, denn keines gab ihm Gelegenheit, zu mir zu sprechen. Immer war ich es, der redete, der klagte, der fluchte.
    Aber nicht nur von mir will ich sprechen, sondern auch von den anderen.
    Etwa von Albertus. Von uns allen hatte er sich während der Reise wohl am wenigsten verändert. Sein Glaube an Gott und an die gerechte Sache schien unerschütterlich, ganz gleich, welche Felsblöcke das Schicksal uns in den Weg rollte. Seit der Nacht auf der Donau, als er mir die wahren Hintergründe meiner Verbannung zu den Zisterziensern erklärt hatte, war meine Abneigung gegen ihn nicht mehr gar so tief. Und doch vermochte ich nicht, in ihm einen wirklichen Freund zu sehen. Einen Gefährten, ganz zweifellos, doch ich konnte nicht vergessen, dass er mich nur mit auf diese Reise genommen hatte, weil er überzeugt davon war, ich würde schlussendlich mein Leben für Favola und die Lumina opfern. So etwas ist nicht die beste Voraussetzung für innige Ergebenheit, das will ich euch sagen, auch wenn er im Laufe der Reise erkannt haben mochte, dass sich vielleicht noch das eine oder andere von Wert in mir verbirgt. Auch er war erschöpft, er fror wie wir alle in den eisigen Nächten, und wenn man sein Alter bedenkt, zeigte er neben Corax wohl das größte Durchhaltevermögen. Aber selbst nach all den Wochen konnte ich noch immer kein rechtes Urteil über ihn fällen. Er war und blie b e ben Albertus. Albertus von Lauingen. Albertus der Magister. Er war weise, gestreng, erfüllt von göttlicher Überzeugung.
    Dann war da Corax, der grimmige, bärenstarke, verbitterte Corax. Die Blendung seines Todfeindes Gabriel von Goldau hatte seinem Schmerz keine Linderung gebracht. Wir alle hatten wohl die Hoffnung gehabt, dass ihn die Bestrafung seines einstigen Schülers milder stimmen würde, doch davon konnte keine Rede sein. Er blieb so wortkarg wie zuvor, und nur Libuse gelang es bisweilen sein Herz zu erweichen. Viel schlimmer noch aber war die unausweichliche Tatsache, dass er mit den Wochen auch den Rest seines Augenlichts verlor. Eine Weile hatte wohl auch er selbst gehofft, jene hellen und dunklen Flecken, die er zu unterscheiden vermochte, seien ein Zeichen seiner Genesung. Doch noch in Serbien bemerkten wir, dass seine Bewegungen ungelenker wurden, seine Orientierung schlechter, und lange bevor wir Konstantinopel passierten (und noch vor dem Abend in jenem Gasthof, auf den ich gleich zurückkommen will), mehrten sich die Zeichen, dass eine endgültige, undurchdringliche Dunkelheit über ihn gekommen war. Er sprach nicht darüber, doch des Nachts hörten wir ihn in seinen Träumen fluchen und flehen, so als

Weitere Kostenlose Bücher