Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
ganz gewiss würde sie Shadhan nicht in der Gewandung einer Haremsdame entgegentreten.
Wenn sie tief einatmete, war ihr, als könnte sie den Untergang bereits riechen, den Odem von Feuer und Blut. Noch verbarg er sich hinter den Düften von Rosenblättern, Lavendel und Moschus. Aber er war da. Sie konnte die Nähe des Krieges spüren wie das Heraufziehen eines Gewitters. Ein feines Knistern in der Luft, aufgestellte Härchen auf ihren Armen, der Geschmack von Eisen auf den Winden, die von den Terrassen hereinwehten. Sinaida kannte all das – die Große Horde hatte zu viele Schlachten geschlagen, als dass sie die Veränderung im Äther hätte missdeuten können.
Der Krieg rollte heran wie eine Flutwelle aus den Steppen des Il-Khanats. Zwei Millionen Menschen. Hunderttausende Krieger.
Und ganz besonders einer, der den Tod verdiente.
Es war an der Zeit, endlich Abschied zu nehmen.
*
Es war Nacht geworden, ehe sie ihren Plan in die Tat umsetzte. Sie teilte sich ein Schlafgemach mit drei anderen Mädchen, zwei Prinzessinnen aus den Kreuzfahrerstaaten und einer Schwarzen, die sie alle um einen ganzen Kopf überragte. Ihr Name war Nogube, und sie hatte den Körper einer Kriegerin, langgliedrig und muskulös. Sie war die Einzige, die dann und wann ein Wort mit Sinaida gewechselt hatte, denn eines verband sie vom ersten Augenblick an: Die übrigen Mädchen fürchteten sie. Nogube ängstigte sie ob ihrer Gestalt und dunklen Hautfarbe. Und Sinaida war eine Mongolin, eine Nachricht, die gleich am ersten Tag wie ein Lauffeuer durch die Säle und Gänge des Harems gefegt war.
Sinaida hatte Nogube gefragt, warum sie nicht versuchte, zu fliehen. Sie sei die Tochter eines Königs, hatte Nogube geantwortet, der Spross eines mächtigen Stammes in den Savannen jenseits der Wüste. Einmal zuvor sei sie geflohen, und zwar vor der Verantwortung, Königin zu werden, und geendet habe ihre Flucht in diesem Harem. Daraufhin hatte sie geschworen, niemals wieder vor irgendetwas davonzulaufen. Schon gar nicht vor dem Schicksal.
Also machte Sinaida sich allein auf den Weg in jener Nacht, und im Grunde war es ihr lieber so. Als sie sich aus dem Zimmer stahl, lächelte Nogube ihr in der Dunkelheit zu. Die beiden anderen Mädchen schliefen, ohne etwas zu bemerken.
Alle Schlafgemächer der Frauen grenzten unmittelbar an den Hauptsaal des Harems. Es hätte schon mit dem Teufe l z ugehen müssen, wenn hier keine Eunuchen patrouillierten, doch als Sinaida vorsichtig die Halle betrat, konnte sie niemanden entdecken.
Es war dunkel, nur in vereinzelten Glaskästen an den Säulen brannten Öllampen auf niedriger Flamme. Zwischen den Kissenbergen gähnten Schattentäler wie bodenlose Brunnenschächte. Ein Luftzug ließ die breiten Seidentücher zwischen Decke und Boden erbeben. Eines bewegte sich wie eine Tänzerin, und Sinaida erschrak weit heftiger, als es einer Nizari zustand.
Ihre Kleidung, mit der sie nach Bagdad gekommen war, hatte sie beim Betreten des Harems abgegeben. Angeblich hatte man sie reinigen wollen, doch sie hatte sie nie zurückerhalten. Nun trug sie ein hauchdünnes Kleid, das glatt bis auf ihre Knöchel fiel und über der Hüfte mit einer dünnen Schnur gegürtet wurde. Die Weste, die man ihr gegeben hatte, bedeckte ihren Oberkörper nur bis knapp über die Brüste. Rund um ihren nackten Bauchnabel hatte sie eine solche Gänsehaut, dass es ihr vorkam, als liefen Ameisen über ihren Leib. Tagsüber wurde der Harem geheizt, doch in der Nacht schwand die Wärme rasch dahin. Draußen auf den Gängen würde es wohl noch kälter sein. Falls sie heil hier herauskam, würde sie sich schleunigst warme Sachen besorgen müssen. Vorzugsweise Hose und Wams eines Wächters.
Sie hatte kein Schwert, natürlich nicht, nur zwei lange Haarnadeln, die sie den beiden Prinzessinnen gestohlen hatte; ihr selbst hatte man keine anvertraut.
Der große Haremssaal war kreisförmig und ringsum von mächtigen Säulen umstanden, auf denen das bemalte Kuppeldach ruhte. Der Ausgang lag ein gutes Stück links von hier.
Das Schlafgemach besaß keine Tür, nur einen schweren Vorhang, der verräterisch hinter ihr zitterte. Wo steckten die Wächter? Mindestens zwei würden draußen vor dem Hauptportal stehen. Aber auch hier drinnen musste es Eunuche n g eben. Die Säulen mochten Gott weiß wie viele Bewacher vor ihr verbergen.
Sie durfte sich nicht einschüchtern lassen. Mit dem Rücken schob sie sich geräuschlos an der Wand entlang. Sie war barfuß und
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