Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Das war der Wille des Herrn. Daran trägst du keine Schuld. «
» Aber die Stadt … sie ist umzingelt. « Corax hustete Blut. Seine Lunge war gequetscht. Pferdehufe hatten seine Innereien zermalmt. » Ihr sitzt … in der Falle. «
» Noch ist nicht alles verloren «, entgegnete Albertus, während Libuse mit zitternder Hand Blut aus dem Mundwinkel ihres Vaters tupfte. » Wir werden schon einen Weg hier herausfinden. «
» Libuse. « Die Hand des Ritters bewegte sich im Griff seiner Tochter. » Du musst bis zum Ende mit ihnen gehen. Irgendwer … muss sie doch beschützen. «
» Ja, Vater. «
» Auch den Jungen. «
Aelvin sah rasch weg.
» Gib auf ihn Acht «, sagte Corax. » Er … er hat dich gern. «
Libuse streifte Aelvin mit einem Blick. » Ich weiß. «
Es war taktlos, dass Aelvin am Sterbebett eines Freundes rot wurde, aber er konnte es nicht verhindern. Da war etwas in Libuses Augen, das ihm sagte, ganz gleich was noch geschähe, es würde nichts an ihren Gefühlen für ihn ändern.
» Wie viele … sind gefallen? «, brachte Corax krächzend hervor.
» Fünf «, sagte Albertus. » Alle Übrigen sind verletzt. «
» Es war eine närrische Idee … dort hinauszugehen … «, keuchte Corax. » Abu Tahir hatte Recht. «
» Abu Tahir ist tot «, sagte Libuse.
Corax gab keine Antwort, aber sie alle sahen, wie sich seine Brust zu einem langsamen Aufatmen hob und senkte. Se ine verbrannten Augenlider schlo ssen sich, und für einen Moment glaubte Aelvin, das Ende wäre gekommen. Dann aber bewegten sich die Lippen des Ritters erneut, schwächer als zuvor.
» Du hast ihn getötet? «
Libuse trug noch immer die besudelte Kleidung. » Ich habe mit ihm gekämpft. Aber gestorben ist er durch sein eigenes Verschulden. «
» Deine Mutter … sie wäre stolz auf dich. «
Aelvin kam es vor, als zuckte Libuse leicht zusammen, aber dann straffte sie sich und nickte. » Und auf dich. «
Nun lächelte er tatsächlich, sehr schwach nur, aber es lag eine große Wärme darin.
Die hohe Tür der Schlafkammer wurde geöffnet, und wie ein Schatten huschte die Edle Zubaida herein, schmal und zerbrechlich in ihren schwarzen Gewändern. Sie trat an das Bett, in dem sonst ihr Sohn ruhte und in dem nun ein alter Mann sein Leben aushauchte.
» Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden. «
Libuse rückte beiseite und ließ die Kalifenmutter die Hand ihres Vaters ergreifen. Zubaida beugte sich vor, hob sekundenlang ihren Schleier und berührte die Wange des sterbenden Recken mit ihren Lippen. Aelvin sah, dass sie ihm etwas zuflüsterte, und ihm war, als blitzten Tränen auf ihren Wangen. Dann ließ sie den Schleier wieder sinken und glitt ohne ein weiteres Wort aus der Kammer.
Corax ’ Mundwinkel bebten. » Sie hat es … nie leicht gehabt «, sagte er brüchig. » Wäre sie ein Mann, hätte sie dieses Reich in eine bessere Zukunft geführt. Aber so … musste sie zusehen, wie alles zerbricht. Alles … wird Asche … «
Libuse beugte sich über ihn, umarmte ihn vorsichtig und drückte ihr Gesicht an seines. Aelvin vernahm ihr leises Schluchzen. Auch er selbst weinte. Favola, die am Fußende saß und den Luminaschrein in ihrem Schoß hielt, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, und Albertus, der kühle, allwissende Albertus, musste sich abwenden und vergrub sein Gesicht in den Händen. Nur die Mongolenprinzessin, drüben an den feuerroten Fenstern, sah mit starrer Miene zum Bett herüber und verriet durch keine Regung, was in ihr vorging.
Als Libuse sich nach einer scheinbaren Ewigkeit von ihrem Vater zurückzog, war kein Leben mehr in ihm. Die verbrannten Augenlider inmitten der Narbenwüste hatten sich ein letztes Mal geschlossen, und sein Mund stand einen Spalt weit offen. Auf seiner Wange glänzten Libuses Tränen.
» Er ist jetzt bei Gott «, flüsterte Albertus.
Libuse schüttelte langsam den Kopf. » Daran hat er niemals geglaubt. Nicht, solange ich ihn kannte. «
Draußen erschallten Hörner, erst im Westen, dann im Osten, schließlich überall im Palast und in der Runden Stadt. Ihr Klang hätte ein letzter Gruß für den Toten sein können, doch sie alle wussten es besser.
Der Kalif hatte der Kapitulation zugestimmt.
*
Sie hätten sich ein Begräbnis gewünscht, das eines Mannes wie Corax würdiger war. Stattdessen sahen sie zu, wie die stummen Diener der Edlen Zubaida den Leichnam auf eine Bahre hoben und davontrugen, hinab in die rätselhaften Tiefen des Palastes. Er würde in
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