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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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denen sie über den Sandkuppen aufragten. Einen Augenblick lang standen sie still dort oben, dann bewegten sich einige von ihnen merkwürdig ungelenk, jedoch ohne jede Spur von Unsicherheit. Sie gaben den Weg frei für drei Kamelreiter in weißen Gewändern. Langsam, fast gemächlich, trabten die Tiere den Hang herab, passierten die Senke zwischen den Dünen und schaukelten wieder bergan, herauf zu dem Kamm, auf dem die Gefährten sie unruhig erwarteten.
    Waren dies die Bedu, vor denen man sie an Bord des Schiffes gewarnt hatte? Libuse hatte wilde, brüllende Horden erwartet, die Schwerter schwingend über ihre Opfer herfielen und sie ohne zu zögern niedermachten. Diese drei aber erschienen ihr eher wie eine Delegation.
    » Rührt euch nicht! «, sagte Sinaida. » Macht ja keine Bewegung. « Von ihnen allen war sie diejenige, die am ehesten Erfahrung in derlei Dingen hatte, und so folgten sie widerspruchslos ihren Anweisungen.
    » Sieht nicht aus, als würden sie uns bedrohen wollen «, sagte Libuse leise, wagte aber kaum, die Lippen zu bewegen, so als könnte selbst das von den Fremden missverstanden werden.
    » Fühlst du dich bedroht? «, fragte Sinaida.
    Libuse zögerte. » Ja, sicher. «
    » Und genau das wissen sie. Sie haben es nicht nötig, mit Klingen vor unseren Nasen herumzufuchteln. Sie wissen, dass wir die Turgauden gefunden haben. Und dass wir unbewaffnet sind. «
    » Wessen wunderbare Idee das wohl war? «, bemerkte Aelvin.
    » Was würdest du denn tun mit deinem Schwert? «, fragte Sinaida bissig. » Sie würden dich vierteilen, ehe du die Düne hinabwärst. «
    Angespannt sah Libuse von den drei Reitern hinüber zu den Silhouetten auf den Dünen. Bei den langbeinigen Gestalten musste es sich um die Riesen handeln, von denen schon der Jünger berichtet hatte. Keine tumben Ungeheuer, die durch Blitzschlag zu Stein erstarrten, sondern Männer mit verzerrten Gliedmaßen.
    Die drei Reiter hingegen waren ganz normal gewachsen, und bei aller Fremdheit schien doch nichts an ihnen grotesk oder gar unmenschlich.
    Ohne zu zählen, schätzte Libuse die Zahl der Gestalten auf den Dünen auf mindestens achtzig, vielleicht hundert. Wie viele sich noch jenseits der Kuppen befanden, war ungewiss.
    Da plötzlich dämmerte es ihr.
    Ihr Vater und sie hatten früher manchmal Gaukler im Turm beherbergt. Corax hatte stets die Nase gerümpft und ihr Treiben als kindischen Schabernack abgetan, doch Libuse wa r v on ihren Darbietungen fasziniert gewesen. Feuerspucker und Jongleure, Musikanten und Schlangenmenschen, scharfzüngige Sänger und fingerfertige Zauberkünstler.
    Und natürlich Stelzenläufer.
    Männer und Frauen, die sich auf mannshohen Holzstäben so sicher bewegten wie auf ihren eigenen Beinen. Alles eine Frage der Übung, hatten sie ihr erklärt. Alles eine Frage des Willens.
    Und heute, viele Jahre später, hatte sie abermals Männer auf Stelzen vor sich. Obgleich es verrückt erschien, an einem Ort wie diesem und im weichen Sand, gab es doch keinen Zweifel. Dies waren keine Riesen.
    Der Reiter in der Mitte war weit älter als die beiden anderen. Die Sandstürme hatten tiefe Furchen in seine dunkle Haut gerieben. Sein linkes Auge war so weiß wie eine Marmorkugel, und seine Hand am Zügel des Kamels zitterte gebrechlich. Zweifellos war er der Wortführer der Fremden. Seine beiden Begleiter schienen Leibwächter zu sein, obgleich ihre Krummschwerter friedlich in Scheiden aus struppigem Fell steckten, die an ihren Sätteln hingen.
    Wir müssen ein ziemlich armseliges Bild abgeben, dachte Libuse, wenn sie es nicht einmal für nötig halten, ihre Klingen blankzuziehen.
    Die Reiter machten einen kleinen Bogen, damit sie nicht unterhalb der Gefährten im Hang, sondern auf einer Höhe mit ihnen auf der Dünenkuppe zum Stehen kamen. Der alte Mann musterte die fünf wortlos, sah mit seinem einzelnen Auge von einem zum anderen. Libuse fröstelte, als sein Blick sie traf. Es kam ihr vor, als berührte er sie mit unsichtbaren Händen und grub damit in ihrem Inneren, auf der Suche nach … ja, nach was eigentlich?
    Favola war die Letzte, auf der sein Blick verharrte. Sie wurde nur noch von den Lederbändern im Sattel gehalten, ihr Kopf sackte immer wieder nach vorn. Unter dem forschenden Aug e d es Alten aber nahm sie noch einmal all ihre Kraft zusammen, hob das Kinn und begegnete seinem Blick ohne einen einzigen Lidschlag.
    Was geschieht hier?, durchfuhr es Libuse. Ihr war, als würde unvermittelt eine Tür aufgestoßen,

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