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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und wirbelte herum.
    Gabriel musste sie lange zuvor bemerkt haben, doch jetzt sah er sie zum ersten Mal offen an. Er deutete eine galante Verbeugung an, ehe Corax ’ nächste Attacke seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Mal hierhin, mal dorthin neigte sich das Glück der beiden Kämpfer, und doch glaubte Libuse wieder Gabriel im Vorteil zu sehen.
    Sie zögerte nicht länger. Eilig setzte sie sich in Bewegung, folgte den Runden der beiden Männer und versuchte, sich stets im Rücken des Fremden zu halten. Kein einziges Mal blickte er über die Schulter oder gab anderweitig zu erkennen, dass er ihr Beachtung schenkte. Doch sie ahnte, dass er jederzeit wusste, wo sie sich befand, ebenso wie ihr Vater es an seiner Stelle gewusst hätte. Gabriel mochte jünger sei n als Corax – um’s vierzigste Jahr schätzte sie, aber ihr fehlte der Vergleich, um sicher zu sein –, doch seine Erfahrung im Kampf war eindrucksvoll. Er würde nicht den Fehler begehen, einen zweiten Gegner mit einem Messer zu unterschätzen, nur weil es sich dabei um ein Mädchen handelte.
    Sie beobachtete ihn, während er schlug und parierte, registrierte die Abfolgen wiederkehrender Bewegungen oder Abweichungen, wenn Corax ihm allzu sehr zusetzte. Gabriel machte es ihr nicht leicht. Keiner seiner Hiebe kam auf die gleiche Weise, stets fügte er eine winzige Finte, eine kleine List hinzu. Er war nicht berechenbar, und beinahe schien es ihr, als genieße er den Kampf.
    Unvermittelt fragte sie sich, was derweil wohl seine Männer taten, draußen im Schnee? Rudel hatte ihr Vater sie genannt, und sie wusste nicht, warum. Nur eine Redensart? Eine Beleidigung? Oder etwas anderes?
    Sie holte tief Luft, wartete noch einen Augenblick länger – und stieß sich ab.
    Die Luft in der Halle wurde so zäh wie Harz. Vor Libuses Augen verlangsamten sich die Bewegungen aller, auch ihre eigenen, und sie sah, wie Gabriel ihren Vater mit einem machtvollen Hieb zurückschleuderte, den Schlag in einer Drehung seines gesamten Körpers auslaufen ließ und nun mit einem Mal ihr gegenüberstand. Er lächelte so breit, dass sein rechter Mundwinkel die Fangarme des Feuermals berührte.
    Engel und Teufel, durchfuhr es sie erneut.
    Hinter ihm versuchte Corax sich zu fangen, stieß gegen einen Schemel und war für mehrere Augenblicke abgelenkt.
    Und Gabriel stieß vor.
    Libuse hatte ihren Sprung in seine Richtung noch nicht beendet – warum war er so verflucht schnell? –, da kam er ihr schon entgegen, prellte das Messer mit dem Schwert aus ihrer Hand und packte sie mit der Linken an der Kehle. Sie stieß einen Fluch aus, der zu einem Gurgeln geriet, dann riss er sie herum wie eine Puppe, presste ihren Rücken an seine Brust und setzte ihr die Spitze seines Schwerts unters Kinn.
    Es kann nicht sein!, schoss es ihr durch den Kopf. So leicht darf es nicht sein, mich auszutricksen!
    » Lass das «, sagte Gabriel sanft, als Corax einen Momen t l ang abzuwägen schien, ob er Libuse unversehrt aus der Hand seines Feindes befreien könnte. » Es wäre dumm und deiner nicht würdig. «
    Corax sah sie nicht an. Sein Blick war finster auf Gabriel gerichtet. War er so zornig auf sie? Zu Recht, gewiss. Sie gab sich alle Mühe, keine Furcht zu zeigen. Aber sie wurde fast wahnsinnig vor Wut auf sich selbst. Wie hatte sie so dumm sein können? Gleich beim ersten Angriff war sie ins offene Messer gelaufen. Er hatte sie herankommen lassen, hatte wahrscheinlich nur darauf gewartet, dass sie sich derart unbeholfen anstellte. Und sie war allzu bereitwillig darauf hereingefallen. Tränen stiegen ihr in die Augen, nicht aus Angst, sondern vor Enttäuschung und Selbstvorwürfen.
    » Und dann fiel ein Lindenblatt auf seine Schulter und blieb haften «, sagte Gabriel mit lieblicher Stimme. Libuse verstand kein Wort. Corax aber schien die Anspielung zu verstehen. Die Furchen auf seiner Stirn wurden noch tiefer.
    » Lass sie gehen, Gabriel. «
    » Damit du weiter mit dem Schwert auf mich einprügeln kannst, alter Mann? Warum sollte ich das tun? «
    Corax legte seine Waffe langsam am Boden ab. » Der Kampf ist zu Ende. Lass sie gehen. «
    » Alles, um was ich dich gebeten habe, war eine schlichte Antwort «, sagte Gabriel, ohne die Klinge von Libuses Hals zu senken. » Aber selbst die hast du mir verwehrt. Und da soll ich dir entgegenkommen? «
    Libuse konnte die Schwertspitze an ihrer Haut fühlen, ein federleichtes Kitzeln, das rasch zu etwas anderem werden konnte, wenn der Stahl erst ihren Unterkiefer

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