Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
auf sie gewartet hatte, bedrückt und in unheilschwangerer Erwartung der Strafen, die Albertus über Aelvin verhängen mochte, verstummte, als sie sah, dass der Magister direkt hinter ihm war.
» Herr, ich bitte Euch! «, rief sie hastig. » Es besteht doch kein Grund, diesen Jungen – « Abermals verstummte sie, als ihr klar wurde, dass Aelvin keineswegs auf der Flucht vor dem zürnenden Magister war.
» Favola, rasch! «, rief Albertus und packte sie am Arm.
» Hast du die Lumina? «
Sie nickte verstört. » Ich hab mich nicht vom Fuß des Turmes fortbewegt, seit … « Jähes Begreifen schien ihre ohnedies blasse Haut in Eis zu verwandeln. » Sie kommen, nicht wahr? Sie sind unterwegs hierher. «
» Sie sind schon da «, presste Aelvin zwischen pfeifenden Atemstößen hervor. » Vor dem Tor. «
Als alle drei sich der Klosterpforte zuwandten, erkannten sie, dass s ie nicht die Ersten waren, die auf die Fremden aufmerksam geworden waren. Hinter dem geschlossenen Doppeltor hatte sich ein kleiner Pulk von Mönchen zusammengefunden. Der Abt war unter ihnen; Bruder Marius; Bruder Severin, der Hospitarius; außerdem einige der anderen, auch ein paar Novizen. Aelvin entdeckte Odo neben dem Abt, atemlos und mit dem Rücken zum Tor. Offenbar war er einer von denen gewesen, die die mächtigen Torflügel im letzten Augenblick zugeworfen hatten.
Aelvin drehte sich zu Albertus um. » Was haben sie getan? «, entfuhr es ihm. » In Frankreich, meine ich. In Favolas Kloster. Wie sind sie dort hineingekommen? «
Albertus beachtete ihn nicht, sondern eilte sogleich zum Abt. Favola hingegen blieb bei ihm stehen, zog den Luminaschrein hervor und packte ihn hastig in den Rucksack, den sie flach gepresst unter ihrem Mantel getragen hatte.
» Sie kamen nachts «, flüsterte sie, während sie das Bünde l w ieder aufschnallte. » Keiner hörte sie kommen. Das Tor war verschlossen, aber sie haben es in Brand gesteckt und gewartet, bis sie einfach hindurchreiten konnten. « Ihre Stimme klang wie betäubt, ihr Blick war leer und in die Vergangenheit gerichtet. Ihre Unterlippe zitterte. » Meine Schwestern … sie alle wollten nicht fortgehen. Keine ist geflohen. Nur der Magister und ich … Ich wollte nicht, aber er hat mich einfach mitgezerrt, durch eine kleine Tür in den Gärten … Und dann sind wir gelaufen, während die Männer – «
Aelvin ergriff ihre Hand und konnte doch selbst nicht fassen, was er da tat. » Psst «, machte er beruhigend. » Ist gut. Das wird hier nicht passieren. «
Albertus hatte den Abt mittlerweile erreicht und redete erregt auf ihn ein. Odo hatte einen Moment lang zugehört, dann kam er mit schweren Schritten herübergerannt zu Aelvin und Favola. Sein Blick ruhte für einen Moment auf dem Mädchen, ehe er sich an Aelvin wandte.
» Was, im Namen – «
» Wir müssen sie von hier fortbringen «, stieß Aelvin aus, noch ehe er tatsächlich darüber nachgedacht hatte. » Favola muss raus aus dem Kloster und … ich weiß nicht, am besten in die Wälder. Wir müssen sie in Sicherheit bringen. «
» Was sind das für Männer? «
» Söldner des Erzbischofs. «
Odo wurde blass. Zu gut kannte er die Geschichte vom Leeren Ritter Ranulf, hatte sie selbst oft genug den Jüngsten unter den Novizen erzählt und mit allerlei Blut und Grausamkeit ausgeschmückt. » Was wollen sie? Keiner hier hat irgendetwas getan. Ich meine, warum … warum piss ich mir fast ans Bein vor Angst? «
Die Vorstellung, dass Odo – der riesenhafte, bärenstarke Odo – solche unergründliche Furcht empfand, sorgte keineswegs dafür, dass Aelvin sich besser fühlte.
Albertus und der Abt schienen nun in einen Streit verstrickt , dem die übrigen Mönche aufmerksam lauschten. Immer noch kamen weitere dazu, aus dem Refektorium und anderen angrenzenden Gebäuden, mit gerafften Kutten, um im tiefen Schnee und vor lauter Aufregung nicht zu stürzen.
Aelvin warf Favola einen Seitenblick zu. Sie war starr vor Grauen, und er konnte förmlich zuschauen, wie sich ihre Erinnerung an die jüngste Vergangenheit wie eine Schablone über die Gegenwart legte: Sie sah das Kloster brennen, die Mönche niedergemetzelt, sich selbst und Albertus in der Gewalt ihrer Feinde.
» Keine Sorge «, sagte Aelvin und wunderte sich über sich selbst. » Wir bringen dich in Sicherheit. «
» Ach ja? «, schnaufte Odo.
» Libuses Turm im Wald! « Aelvin verlieh seiner Stimme alle Entschlossenheit, die er unter diesen Umständen zustande brachte. » Wir
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