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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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so dalag. Welche Form von Reinheit hatte Albertus gemeint? Jene, die Libuse heute gegen ihren Willen verloren hatte? Das hätte auf viele Mädchen in Favolas Alter zugetroffen, erst recht auf Novizinnen eines Nonnenklosters. Nein, der Magister musste weit mehr in ihr sehen.
    Libuse mochte sich täuschen, aber ihr war es vorgekommen, als wäre Favola unwohl gewesen bei Albertus ’ Worten. Setzte der Magister zu hohe Erwartungen in sie? Konnte sie, wollte sie dieser Aufgabe überhaupt gewachsen sein?
    Und an noch etwas erinnerte sich Libuse: Bei seinem Besuch im Turm hatte Albertus von einer Krankheit gesprochen, unter der Favola litt. Einer Krankheit, die sie irgendwann das Leben kosten würde. Armes Ding.
    Obwohl Libuse keine gläubige Christin war, kannte sie die Bibel. Anhand der Heiligen Schrift hatte Corax ihr Lesen und Schreiben beigebracht. Sie erinnerte sich an die Schöpfungsgeschichte, an Adam und Eva und das Dasein im Garten Gottes, das sie durch den Sündenfall verspielt hatten. Eva hatte nach der Frucht vom Baum der Erkenntnis gegriffen und damit sich selbst und allen Menschen, die nach ihr kamen, den Zutritt zum Paradies verwehrt.
    Schenkte man dieser Geschichte Glauben, dann wäre mit dem Drang nach Wissen das Böse in die Welt getreten. Und als Konsequenz daraus Ächtung, Schande, Verzweiflung.
    Falls Albertus tatsächlich auf das vertraute, was in der Bibel stand, falls es ihm ernst war mit dem Wort Gottes, wie konnte er dann den Entschluss zu einem solchen Vorhaben fassen?
    War denn Widerstand, war Blasphemie der Schlüssel zu wahrem Glauben? Zur Erlösung? Libuse war zu verwirrt, um auch nur die Ahnung einer Antwort darauf zu finden.
    Doch allein die Frage war genug, um ihr den Schlaf zu rauben.
    *
    Der Morgen überraschte sie mit einem klaren Himmel und strahlendem Sonnenschein. Sie tranken Schneewasser, aber zu essen hatten sie nichts. Sie würden noch bis zum Gasthaus ohne Nahrung auskommen müssen. Nachdem sie Holz gesucht und es für die nächsten Reisenden in der Asche der Feuerstelle aufgeschichtet hatten, brachen sie auf.
    Sonnenstrahlen glitzerten auf der dicken Schneeschicht, die den gefrorenen Bach, den Uferweg und die Wälder an den umliegenden Steilhängen bedeckte. Alles funkelte und glänzte. Die Ruhe und der Frieden dieser Landschaft hätten sich auf sie übertragen müssen, doch Libuse fand, dass das Licht vor allem in den Augen brannte und es beinahe unmöglich wurde zu erkennen, wohin man den Fuß setzte.
    Wieder lief Albertus allein an der Spitze, gefolgt von Aelvin und Favola, und wie am Tag zuvor bildeten Libuse und ihr Vater den Abschluss. Sie versuchte jetzt nicht mehr, ihn zu stützen; stattdessen führte sie ihn an der Hand, und seine Hilflosigkeit schmerzte sie mindestens ebenso sehr wie ihn selbst.
    » Wir brauchen Pferde «, rief Libuse, nachdem sie eine ganze Weile schweigend gewandert waren. » Egal, was Euer Orden darüber denkt, Albertus. Aber ohne Pferde wird die Wel t n och ein paar Jahrtausende länger auf ihre Erlösung warten. Wir werden niemals irgendwo ankommen, wenn wir den ganzen Weg zu Fuß gehen müssen. «
    » Glaubst du das wirklich? «, antwortete Albertus, ohne sich umzudrehen. » Dass ich versuchen würde, die gesamte Strecke zu Fuß zurückzulegen? «
    » Weiß der Teufel. «
    » Bis zum Rhein müsst ihr durchhalten. «
    » Wie bringt Ihr das mit den Gesetzen der Dominikaner in Einklang? «, fragte Aelvin.
    Albertus brummte etwas, das eine Antwort sein mochte. Libuse verstand ihn nicht, und auch Aelvin zuckte die Achseln und konzentrierte sich wieder auf den Weg.
    Der Schnee knarzte und knirschte unter ihren Füßen. Es war ein mühsamer Marsch, und er wurde nicht leichter dadurch, dass Albertus immer wieder stehen blieb und nach Verfolgern Ausschau hielt. Nie entdeckte er jemanden, doch die Vorstellung, dass irgendwo im Schatten der Bäume oder auf den Kämmen der Steilhänge die Schergen des Erzbischofs lauern mochten, drückte auf ihrer aller Gemüt. Auch gab es sicherlich Räuber in dieser Gegend, denen ein paar erschöpfte Wanderer gerade recht kamen.
    Libuse hielt mit der Linken die Hand ihres Vaters; mit der Rechten tippte sie Favola auf die unverletzte Schulter. Die Novizin wandte den Kopf.
    » Kennst du unser Ziel? «, fragte Libuse leise. » Ich meine, den genauen Ort? «
    Favola schüttelte den Kopf. » Er hat es mir nicht gesagt. «
    » Und Aelvin? «
    Der junge Mönch sah über die Schulter und verzog das Gesicht zu einem bitteren

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