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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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Ich verstehe nicht, warum das Vergraben an einem Ort etwas anderes sein soll als an einem anderen Ort. Vergraben ist doch Vergraben?“
    „Vergraben ist zwar Vergraben, aber deshalb muss es nicht immer Vergraben gewesen sein!“
    „Das verstehe ich nicht. Warum soll Vergraben nicht immer Vergraben gewesen sein?“
    Der Einwand irritierte Maarten. Er gab ihm ein Gefühl der Machtlosigkeit. Verwirrt dachte er nach, auf der Suche nach dem Argument, das diesen Jungen überzeugen könnte. „Es ist ein indirekter Beweis“, versuchte er es. „Hast du ein naturwissenschaftliches Gymnasium besucht?“
    „Nein, ein humanistisches.“
    „Dann andersherum!“ Er sagte es mit Nachdruck, als ob dieser Nachdruck Bart überzeugen würde. „Vor tausend oder zweitausend Jahren wurde die Nachgeburt überall aufgehängt, außer in Limburg – dort wurde sie vergraben. Doch in beiden Fällen ging es um den Schutz vor bösen Mächten, die das Fohlen bedrohten. Dann kam das Christentum. Das Christentum sah im Aufhängen eine heidnische Handlung. Im Vergraben nicht, denn das machten die Christen selbst. Das Aufhängen geriet also in Misskredit und wurde allmählich aufgegeben. Aber man musste irgendwo hin mit dem Zeug. Deshalb findest du in dem Gebiet, wo sie aufgehängt wurde, alles Mögliche: vergraben, auf den Misthaufen werfen, an die Schweine verfüttern, egal was. In Limburg findet man das nicht. Dort vergrub man einfachweiter, wie man es immer schon getan hatte, auch als man dem schon keine besondere Bedeutung mehr beimaß.“
    Bart hatte geduldig zugehört. „Aber das ist kein Beweis!“, sagte er, als Maarten seine Ausführungen beendet hatte. „Das ist eine Hypothese!“ Er betrachtete die Karte. „Und in Limburg sind es auch keine hundert Leute!“
    „Sozusagen“, erwiderte Maarten und warf einen Blick auf die Karte.
    Bart beugte sich über die Karte und begann, mit seiner Fingerspitze die Zeichen zu zählen. Er tippte jedes Zeichen kurz an.
    Maarten sah ungeduldig zu. Er fand das sinnlos.
    „Ich zähle fünfunddreißig“, sagte Bart, als er Vaals erreicht hatte.
    „Ich meine natürlich hundert Prozent!“
    „Aber es sind auch keine hundert Prozent! Denn ich sehe hier zwei Meldungen“, er legte seinen Finger auf die Karte, „in denen behauptet wird, dass man die Nachgeburt
wohl
aufhänge. Und hier sind noch zwei, wo man sie“, er unterbrach sich kurz, um sich die Legende anzusehen, „auf den Misthaufen warf.“ Es lag keine Spur von Triumph in seiner Stimme, nur Präzision.
    „Dann eben neunzig Prozent. Es ist also wahrscheinlich ein Übergangsgebiet, aber der Unterschied zum Rest des Landes ist deutlich zu erkennen.“
    „Sie nehmen also
an
, dass man die Nachgeburt in Limburg immer vergraben hat und im Rest des Landes nicht“, fasste Bart noch einmal zusammen.
    „Nein“, korrigierte Maarten. „Ich behaupte, dass das Vergraben im Rest des Landes eine der Möglichkeiten war, sich der Nachgeburt zu entledigen, wenn man die ursprünglich sakrale Handlung unter dem Druck der öffentlichen Meinung aufgegeben hatte, und dass in Limburg die sakrale Handlung nahtlos in eine normale hygienische Maßnahme überging.“
    „Aber Sie haben dafür keinen Beweis!“
    Maarten betrachtete, mutlos geworden, die Karte. „Ich wüsste nicht, wie ich es anders erklären sollte. Oder man müsste annehmen“, er dachte nach, „dass irgendein Bischof von Roermond dasAufhängen erfolgreicher unterdrückt hat als seine Kollegen im Rest des Landes.“
    „Warum nehmen Sie das dann nicht als Hypothese?“
    „Weil es mir höchst unwahrscheinlich erscheint.“
    „Aber hätten Sie das dann nicht zuerst untersuchen müssen?“
    Maarten lachte. „Ich wüsste nicht, wie. Außerdem hatte ich dafür auch keine Zeit.“
    „Ich glaube, ich hätte das doch erst untersucht.“
    Maarten stand auf. Es reichte ihm. „Kommst du mit den Ausschnitten voran?“, fragte er.
     
    Eine Stunde später klopfte es ganz leise an der Tür. Bart. Er klopfte, obwohl er wusste, dass es nicht nötig war, doch dann trat er ein, ohne ein „Herein“ abzuwarten. Er hatte ein Buch bei sich, das er aufgeschlagen auf Maartens Schreibtisch legte. „Das Bistum Roermond hat ein Archiv.“ Er zeigte auf die entsprechende Passage.
    Maarten sah es sich an, ohne dass der Inhalt des Textes zu ihm durchdrang. Er schlug die Titelseite auf und las gedankenverloren den Titel. „Wo hast du das gefunden?“
    „Bei Herrn de Gruiter. Sie können in diesem Archiv

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