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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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das war damals noch gegenüber, und bei mir zu Hause durchführen lassen.“ Er wandte sich ab, stellte die Tasse auf seinen Schreibtisch, drehte den Stuhl in Maartens Richtung und setzte sich. „Langweilt es dich?“
    „Nein, ich verstehe es nur nicht.“
    Beerta nickte ernst. „Das kommt, weil es so kompliziert ist. Und es wird noch viel komplizierter“, er legte die Hände gegeneinander, „denn bei der Durchsuchung haben sie sehr belastendes Material gefunden, sehr belastend.“ Er sah Maarten starr an.
    Maarten lauschte, ohne etwas zu sagen.
    „Ja, im Nachhinein versteht man nicht, wie so etwas möglich ist, aber damals wurde das sehr ernst genommen.“ Er blinzelte erneut. „Ich hatte damals nämlich gerade von einem alten Junggesellen ein umfangreiches Manuskript bekommen, und das lag noch auf meinem Schreibtisch, und dazu gehörte auch eine Mappe mit Ausschnitten aus deutschen Blättern der Jahre um 1890, aus dem
Simplicissimus
und so, mit Abbildungen von Mädchen, die Schläge auf den nackten Po bekommen. Ich hatte noch zum Vorsitzenden der Kommission gesagt, der damals zufällig zu Besuch kam: ‚Was dieser alte Junggeselle doch für verrückten Hobbys nachgeht!‘ Und diese Mappe war das Erste, was ich sah, als ich zum Untersuchungsrichter musste, sie lag oben auf der Akte. Und das Erste, was er sagte, war: ‚Sie gehen aber merkwürdigen Hobbys nach. Seit wann ist das bei Ihnen so?‘ Und ich fand das so dumm, dass ich sagte: ‚Oh, das ist angeboren.‘ Dass er sich nicht mal gefragt hatte, wie ich denn dazu käme, Zeitungsausschnitte aus dem Jahre 1890 zu sammeln! Abgesehen von der Tatsache, dass Ausschnitte aus dem Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts natürlich niemals Pornographie sein können. Ich habe die Mappe auch nie zurückbekommen. Ich habe mich später noch darum bemüht, weil sie schließlich zum Manuskript gehörte, aber sie war nicht mehr auffindbar, sie wird also wohl bei dem ein oder anderen Sammler am Gericht hängengeblieben sein.“
    „Und dafür sind Sie verurteilt worden?“, fragte Maarten ungläubig.
    „Nicht dafür! Aber sie hatten bei der Hausdurchsuchung auch mein Tagebuch gefunden, und darin standen allerlei Phantasien, die sehr belastend waren. Als ich beim Untersuchungsrichter war, sah ich, dass vieles rot unterstrichen war, aber er hatte begriffen, denn er sagte sofort: Das Tagebuch ist Literatur, das lege ich mal zur Seite. Undtrotzdem ist in der Gerichtsverhandlung daraus zitiert worden. Ich war damals rasend. Man hat sogar noch eine Passage in das Urteil aufgenommen.“
    „Über diesen Jungen.“
    „Nein, über mich selbst. Das Tagebuch handelt nur von mir selbst. Ich bin introvertiert.“
    „Es standen also überhaupt keine Tatsachen in dem Tagebuch?“
    „Nein, warum fragst du?“
    „Weil ich es unglaublich finde.“
    „Es
ist
auch unglaublich! Das sagte ich dir schon! Und das war auch die Meinung des Psychiaters, für die er vom Gericht ordentlich eins auf den Deckel bekommen hat, weil er sich mit der Schuldfrage befasst hatte. Er hätte nur Bericht erstatten dürfen. Aber ich langweile dich.“
    „Nein, Sie langweilen mich nicht. Ich verstehe es nur nicht. Dieser Psychiater hat also das Tagebuch gelesen?“
    Beerta nickte. „Er hat das Tagebuch gelesen. Eines Tages kam er in meine Zelle, denn ich saß damals in Untersuchungshaft, und sagte: ‚Sie führen Tagebuch. Darf ich es lesen?‘ – ‚Nein, natürlich nicht‘, sagte ich. – ‚Ich will es lesen‘, sagte er. – ‚Das geht nicht‘, sagte ich, ‚denn es stehen dort auch Dinge über Sie drin.‘ – ‚Und keine positiven‘, sagte er. – ‚Nein‘, sagte ich, ‚keine positiven.‘ Denn ich fand ihn wirklich schrecklich. Aber schließlich habe ich es ihm doch geben müssen. Ich war in der schwächeren Position, und dann gibt man eben nach.“
    „Und aufgrund des Tagebuchs kam der Psychiater also zu dem Schluss, dass Sie es nicht getan hatten?“
    „Ja. Der Psychiater sagte: ‚Ich bin hundert Prozent, nein, nicht hundert Prozent, denn das ist natürlich nicht möglich, aber ich bin zu siebenundneunzig Prozent sicher, dass Beerta es nicht getan hat, denn er hat einen starken Mutterkomplex und würde nie etwas tun, was seine Mutter nicht gutheißen würde. Und wenn er es dennoch täte, würde er bestimmt ein Geständnis ablegen, denn er hat ein unglaublich starkes Strafbedürfnis.‘ Und das hatte er sehr gut erkannt, denn ich finde es eigentlich herrlich, bestraft zu

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