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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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Nicolien im Regen den Zug in Winterswijk verließen, stand er auf dem Bahnsteig und erwartete sie. „Tag, Herr Koning“, sagte er mit einem starken östlichen Akzent, als sie, ohne ihn zu bemerken, an ihm vorbei unter der Überdachung Richtung Ausgang gingen.
    Maarten blickte überrascht zur Seite. Es war ein noch junger Mann, in seinem Alter, mit einer Brille und einem freundlichen, bescheidenen Gesicht. „Herr Kroezenkamp?“, fragte er.
    „So ist es“, sagte Kroezenkamp.
    Sie gaben sich die Hand.
    „Das ist meine Frau“, sagte Maarten. „Die habe ich mal mitgebracht.“
    „Tag, Frau Koning“, er gab ihr ebenfalls die Hand.
    Nicolien lachte verlegen.
    „Mein Auto steht vor dem Bahnhof“, sagte Kroezenkamp.
    „Woher wussten Sie, dass wir es waren?“, fragte Maarten, als sie durch den kleinen Bahnhof nach draußen gingen.
    „Das sieht man. Leute aus dem Westen kann man sofort erkennen. Und Sie haben ein Tonbandgerät bei sich.“
    „Woran sehen Sie das denn?“, fragte Maarten neugierig.
    „An der Art zu laufen, und an der Haltung, glaube ich. Es ist alles etwas gehetzter als bei uns.“
    Sie stiegen ins Auto, Nicolien neben Kroezenkamp, Maarten nach hinten. Kroezenkamp fuhr durch das Dorf, auf einer Straße, die auf beiden Seiten von hohen Bäumen gesäumt war, gelegentlich ein Bauernhof. Durch die verregneten Fenster sah Maarten undeutlich einewellige Landschaft, schwarze und hellgrüne Äcker mit einigen Weiden hier und da. Durch die freie Fläche, die die Scheibenwischerblätter schufen, sah er zwischen Nicolien und Kroezenkamp hindurch die nassen Klinkersteine und die feuchten, schwarzen Stämme der Bäume.
    „Wohin fahren wir?“, fragte er.
    „Nach Rekken“, antwortete Kroezenkamp.
    Sie schwiegen.
    „Die Frau, die wir dort besuchen werden, ist eine ganz besondere Frau“, sagte Kroezenkamp nach einer Weile, seine Aufmerksamkeit auf die Straße gerichtet. „Sie wohnt sehr abgelegen, dicht bie de dütsche Grenze.“
    „Wie kommt sie an ihre Geschichten?“, fragte Maarten.
    „Die hat sie von ihrem Vater. Der war Rektor an der Grundschule. Sie hat sein ganzes Leben lang für ihn gesorgt. Vor fünfzehn Jahren ist er gestorben.“
    „Also ist sie schon alt.“
    „Achtzig, glöf ik. Also nicht mehr so jung.“
    Maarten lächelte. Er sah im Rückspiegel das Gesicht Kroezenkamps, doch das blieb ernst, sogar ein wenig abwesend.
     
    Gut eine Viertelstunde später lenkte Kroezenkamp seinen Wagen in eine Seitenstraße, die in einen Sandweg mündete, und brachte ihn bei einer kleinen, weißen Pforte zum Stehen. Als er den Motor abgestellt hatte und sie ausstiegen, war die Stille überwältigend. Der Regen hatte aufgehört. Ein feuchter Nebel hing um die Bäume und Sträucher, zwischen denen halb verborgen das Haus stand. Die Pforte quietschte, als Kroezenkamp sie aufstieß, und fiel mit einem leisen Schlag wieder hinter ihnen zu, als sie zwischen den Sträuchern den Weg entlang zur Eingangstür gingen. In der Rabatte vor dem Haus blühten Schneeglöckchen. Kroezenkamp blieb vor der Tür stehen. „Sie hat uns schon gesehen“, sagte er. Die Tür ging langsam auf. In der Diele stand eine kleine, zart gebaute alte Frau, ihre grauen Haare in einem Knoten hinten am Kopf.
    „Ach, Seij sünt er al“, sagte sie. Ihr Kopf wackelte ein bisschen. Sie ging vor ihnen her ins Wohnzimmer. „Schall ik eerst moal een Tass’Tee moaken?“, fragte sie, als sie sich hingesetzt hatten. Die Geräusche aus der Küche und das Ticken der Pendeluhr auf dem Kamin vertieften die Stille im Haus. Auf einem Tisch mit einer dunkelgeblümten Plüschdecke lag ein aufgeschlagenes Heft. „Das ist sechzig Jahre alt“, sagte Kroezenkamp gedämpft. Maarten stellte das Tonbandgerät auf einen Stuhl und schloss das Mikrofon an. Er suchte eine Steckdose und fand sie in einer Ecke, neben dem Teetisch, einem altmodischen Tischchen auf geschwungenen, dunkelbraunen Beinen. Während er damit beschäftigt war, kam die Frau mit der Teekanne herein und stellte sie auf ein Stövchen. „Dat is noch oaltmoud’sch“, sagte Kroezenkamp, als sie eine Schale mit Bonbons aus dem Schrank holte. Dort, wo Maarten saß, konnte er die Pforte sehen. An der Wand stand ein Sekretär mit Rollverschluss, auf dem sich Schreibgerätschaften und ein Pfeifenständer mit Pfeifen befanden. „So“, sagte die Frau, während sie sich an den Tisch, hinter das aufgeschlagene Heft, setzte. „Un nu loat ik de Leitung an Heern Kroezenkamp oaver.“ Sie sah ihn an.

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