Das Büro
Freunde?“
Hendrik musste über die Frage nachdenken. „Eigentlich nicht. Ja, ich habe mich natürlich schon mal mit jemandem unterhalten, aber Freunde, nein, so konnte man das eigentlich nicht nennen.“
Schweigend überquerten sie den Voorburgwal in Richtung des Postamts und bogen um die Ecke in die Raadhuisstraat.
„Hattest
du
denn Freunde?“, fragte Hendrik.
„Ja, ich hatte ein paar Freunde.“
Es schien Hendrik nicht zu interessieren. Er blickte geistesabwesend in die Ferne. Zügig marschierend überholten sie fortwährend andere Leute, die auf dem Weg von ihrer Arbeit nach Hause waren.
„Ich bin wohl mal schwimmen gegangen“, erinnerte sich Hendrik, als sie über die Brücke der Prinsengracht gingen.
„Schwimmen.“
„Ja. Bist du denn nie schwimmen gegangen?“
„Nein. Nie.“
„Und ich habe auch viel gepuzzelt.“
„Und als du klein warst?“
„Ach. Man bleibt doch immer der Sohn des Pfarrers.“ Er sprach die letzten Worte unwillkürlich mit einem stark östlichen Akzent aus.
Nicolien kam mit umgebundener Schürze aus der Küche, als sie das Zimmer betraten. „Tag“, sagte sie.
„Tag, Nicolien“, sagte Hendrik.
Sie gaben sich die Hand.
„Das ist Jonas“, sagte Maarten. Die Katze lag in einem Pappkarton vor dem Ofen und sah argwöhnisch zu Hendrik auf.
„Den Kasten hat Slofstra gemacht. Da war ursprünglich ein Karteikasten drin.“ Er hockte sich neben die Katze und strich ihr über den Kopf.
„Tag, Jonas.“ Die Katze begann leise zu schnurren.
„Nennt ihr sie Jonas?“, fragte Hendrik erstaunt. „Na, dann kann man sich besser gleich Kinder anschaffen.“
„Wie würdest
du
denn eine Katze nennen?“, fragte Maarten und stand auf.
„Und wenn man nun keine Kinder will, sondern lieber eine Katze?“, bemerkte Nicolien in scharfem Ton.
„Ich habe keine Katze“, antwortete Hendrik.
„Und zu Hause?“
„Da haben sie schon eine Katze. Das heißt, das letzte Mal hatten sie noch eine.“
„Und wie nennst du die dann?“, ließ Maarten nicht locker.
„‚Katze‘! Einfach ‚Katze‘!“
„Und wir nennen sie eben Jonas“, sagte Nicolien. Sie lachte. „Wenn das erlaubt ist.“ Es klang aggressiv.
„Oh“, er legte seine Hand auf die Brust und richtete sich etwas auf, „ich wollte euch nicht beleidigen. Es wunderte mich nur.“
„Möchtest du einen Schnaps?“, fragte Maarten.
„Ja, gern.“
„Wir können Radieschen dazu essen“, sagte Nicolien aus der Küche heraus. „Es gibt Sauerkraut.“
„Es gibt Sauerkraut“, meldete Maarten, als er das Zimmer betrat, eine Flasche in der Hand und eine zweite unter dem Arm.
„Lecker!“, sagte Hendrik. „Sauerkraut mag ich!“
Maarten holte die Gläser aus der Küche, Nicolien kam mit den Radieschen.
„Hendrik hat niemals Freunde gehabt“, erzählte Maarten, als sie um den kleinen Tisch herum saßen und er die Gläser vollgeschenkt hatte.
„Nein?“, sagte sie. „Ich eigentlich auch nicht.“
„Na ja, niemals Freunde …“, relativierte Hendrik. „Es ist eher so, dass ich nicht weiß, was man darunter zu verstehen hat. Ich bin natürlich schon mal mit jemandem etwas trinken gegangen.“
„Aber so wie bei dir, das ist auch ungewöhnlich“, sagte Nicolien zu Maarten, „dass ihr ganze Abende und Nächte zusammengesessen und geredet habt.“
„O nein“, sagte Hendrik, „nach einer Stunde habe ich alles gesagt, was ich sagen wollte. Ich wüsste nicht, worüber wir dann noch reden sollten.“
„Über den Sinn des Lebens?“, versuchte es Maarten.
„Ich glaube nicht, dass ich jemals geglaubt habe, dass das Leben einen Sinn hat. Ich wüsste auch nicht, was sich darüber sagen ließe.“
Maarten lachte. „Literatur?“
„Ja, Literatur“, gab Hendrik zu, „aber dann muss man schon zufällig dasselbe Buch wie der andere gelesen haben. Und dann läuft es normalerweise darauf hinaus, dass der eine es gut findet und der andere schlecht. Na ja: gut … Meist liegt es natürlich irgendwo dazwischen.“
„Nenn mal ein Buch, das du gut findest.“
Hendrik dachte nach. „Keine Ahnung. Ja, manche Bücher von Vestdijk finde ich gut, aber auch nicht alle. Und ich wüsste nicht, was ich darüber sagen sollte.“
Sie schwiegen. Maarten suchte nach einem Thema, das Hendrik interessieren würde, fand jedoch keins. Er sah Nicolien an. „Wie war es heute?“
Sie lachte. „Gut.“
„Nichts Besonderes?“
„Nein, nichts Besonderes. Und bei dir?“
„Ich habe die beiden neuen Leute zum
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