Das Büro
da bin ich mir ziemlich sicher.“
*
Für seinen Vater hatte man einen Platz in der Mitte der ersten Balkonreihe reserviert. Er saß zwischen Nicolien und Maartens Schwägerin. Daneben saßen auf der einen Seite Maarten und der Direktor des Unternehmens, in dem sein Vater dreißig Jahre lang gearbeitet hatte, und auf der anderen Seite Maartens Bruder und Gijs van de Akker, der Nachfolger seines Vaters, ein noch jüngerer Mann, etwas älter als Maarten, der Sohn eines Jugendfreundes seines Vaters. Die übrigen Mitarbeiter, ein paar hundert, saßen hinter ihnen sowie unten im Saal und sahen, ohne darauf zu reagieren, in einer peinlichen, etwas verlegenen Stille einer Parodie auf
My Fair Lady
zu, in der Professor King seinem jugendlichen Nachfolger Thijs die Kniffe des Fachs beizubringen versuchte. Er tat dies in einem pedantischen, autoritären Tonfall, getränkt von pragmatischem Zynismus. Darin klang zwar die Kritik der Mitarbeiter an seinem Vater durch, allerdings – aus Furcht, ihn zuverletzen – so abgemildert und so unbeholfen durch das ungeschickte, etwas ängstliche Spiel des dicken Jungen, der den Professor King geben musste, dass es eher peinlich als geschliffen wirkte. Außerdem hatten die Texter in Maartens Augen ihre Chance vertan, indem sie wiederholt die Freundschaft zwischen Professor King und Thijs’ Vater betonten und das Ganze dadurch in die Nähe des Nepotismus rückten. Wenn auf der Grundlage des Textes und durch das Fehlen jeglicher Reaktion eines deutlich wurde, dann dies, dass der Mann, von dem sie Abschied nahmen, ein Fremder für sie war und niemand ihm eine Träne nachweinen würde. Während diese Erkenntnis langsam und mit einem wachsenden Gefühl des Unbehagens zu ihm durchdrang, sah er ab und zu verstohlen zur Seite. Das Gesicht seines Vaters wirkte blass und verkrampft. Er blickte starr zur Bühne, mit einem ironischen Lächeln, das wie eingefroren auf seinem Gesicht lag. Manchmal lachte er kurz, lautlos, ohne Freude und in solch unwahrscheinlichen Momenten, dass Maarten sicher war, dass ihn nichts von dem erreichte, was auf der Bühne gesagt wurde. Er saß da, mit seinem vom vielen Schreiben etwas gekrümmten Rücken, ein unscheinbarer kleiner Mann in einem schlecht sitzenden Anzug, die Hände auf den Knien. Als Maarten auf die Hände sah, bemerkte er, dass sie sich verkrampften. Sein Vater. Er empfand Mitleid, und zugleich fühlte er sich bedroht, schutzlos und irritiert, denn so sollte ein Vater nicht sein. Er betrachtete den Direktor neben sich, einen grobschlächtigen, korpulenten Mann, der das Ganze, vielleicht als Einziger im Saal, unbefangen genoss. Als Maarten zu ihm sah, blickte er zur Seite. „Findest du das nicht herrlich?“, sagte er halblaut, so dass es weithin zu hören war, und Maarten sah in seinen halb geöffneten Mund, in dem ein paar Goldzähne blinkten.
Als Professor King und Thijs am Schluss des Stückes die Internationale anstimmten, stand der Direktor auf und sang lauthals mit. Unten im Saal schaute man nach oben, einige Leute erhoben sich, um sie herum stand man ebenfalls auf. Sein Vater zögerte, blickte sich um und folgte ihrem Beispiel, zwischen seinen Kindern. Was zweifellos als ein befreiender mehrstimmiger Gesang gedacht war, wurde zu einem halb gemurmelten, dünnen Singsang, aus dem, deutlich erkennbar,die kräftige Stimme des Direktors herausstach. Sein Vater unternahm einen kurzen Versuch, mitzusingen, gab ihn jedoch bald wieder auf und sah etwas verlegen in den Raum, wie jemand, der beim Beten nicht mitmacht. Anschließend gab es eine Pause. Sie stiegen die Treppe hinunter ins Foyer. Sein Vater ging, wie im Traum, geradewegs zu einem Tisch in der Ecke und setzte sich dort hin, mit dem Rücken zur Wand. Seine Kinder, der Direktor und sein Nachfolger scharten sich um ihn. „War das nicht toll?“, fragte sein Bruder Maarten, an seinem Vater vorbei. Er musste etwas lauter sprechen, um sich in dem Stimmengewirr verständlich zu machen.
„Nein“, sagte Maarten, „ich fand es peinlich.“
„Unsinn!“, sagte sein Vater. „Ich weiß nicht, was daran peinlich war. Es war eine Parodie!“
Der Direktor, der sich neben ihn gesetzt hatte, stand wieder auf und verließ sie, um sich in das Gedränge zwischen den Tischen und vor dem Büffet mit den Speisen und Getränken zu mischen. Gijs van de Akker, der neben seinem Bruder saß, lauschte dem Gespräch, ein verlegen wirkender Mann, der Maarten entfernt an seinen Vater erinnerte.
„Es war eine
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