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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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eher erwarten, dass der Besitz roten Haares einer Person ein gewisses Ansehen verlieh. Das ist jedoch nicht so. Wie lässt sich das erklären? Könnte es vielleicht so sein, dass die bei uns lebenden Bataver von den Römern und den vorrückenden Franken
(die zweifellos schwarzhaarig waren, dem Aussehen der Bewohner unserer jetzigen südlichen Provinzen nach zu urteilen) in die unwirtlichen Landstriche unseres Landes zurückgedrängt worden sind, in die Sümpfe („Rotes Haar und Erlenholz, sehr viel Kummer, wenig Stolz“), die unfruchtbaren Sandgegenden und Ähnliches, und in der Folge als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt wurden? Gerne hätte ich hierzu eine Auskunft. Auch interessiert es mich, ob es noch mehr solcher Reime gibt, die diese Theorie stützen können, und ob sie möglicherweise vor allem in unseren südlichen Provinzen anzutreffen sind, da Letzteres die Theorie natürlich beträchtlich stärken würde. Mit größtem Dank für Ihre Bemühungen und dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich Ihr erg. W. A. Lebbing. P. S.: Eine Briefmarke für die Antwort füge ich Ihnen bei.
    Maarten legte das Schreiben zur Seite und blickte einen Moment nachdenklich vor sich hin. Der Brief ging ihm gegen den Strich. Es war ein bisschen Wind aufgekommen, der sanft am geöffneten Fenster zog, das an seinem Haken befestigt war. Sommer. Er stand auf und ging in den mittleren Raum, wo die Wörterbücher standen. Fräulein Haan war nicht da. Van Ieperen hob hinter seinem Zeichentisch die Hand. „Ha, die Volkskultur!“ Er kicherte.
    Maarten lächelte.
    „Und, wie gefällt es dir hier?“, fragte van Ieperen vertraulich.
    „Das lässt sich noch nicht sagen.“
    „Und Anton?“ Er dämpfte seine Stimme und machte eineKopfbewegung in Richtung des Zimmers von Beerta. „Wie ist es, wenn man mit Anton in einem Raum sitzt?“
    „Ich fühle mich nicht von ihm belästigt“, entgegnete Maarten, eine Antwort, die er sofort bedauerte, als van Ieperen doppeldeutig zu kichern begann.
    „Nun, es gibt einige, die da andere Erfahrungen gemacht haben. Wenn ich noch an die Sache mit Pietje Valkenburg denke. Junge, Junge, das war was. Und Anton“, er führte seine Hand nach hinten, dabei den Oberkörper nach vorn gebeugt, „er hat sich fast in die Hose gemacht!“ Er prustete vor Lachen.
    Maarten hatte davon gehört. Piet Valkenburg war eine studentische Hilfskraft gewesen, als er dort schon nicht mehr war, und hatte Beerta ins Gerede gebracht. Was genau vorgefallen war, wusste er nicht. „Dieser Piet Valkenburg schien mir nicht gerade eine zuverlässige Quelle zu sein“, sagte er abwehrend. Er ging zum Regal mit den Sprichwörterbüchern.
    „Nein, natürlich nicht“, sagte van Ieperen rasch.
    Maarten schenkte ihm keine Aufmerksamkeit mehr. Er blätterte im
Stoett
, sah unter
rot
und
Haar
nach, fand dort aber nichts. Sicherheitshalber zog er auch noch eine Reihe von Sprichwörterbüchern zu Rate, um herauszufinden, ob sich der Süden vom Norden unterschied, und stieß bei
Boekenoogen
auf die Bemerkung:
Rotes Haar ist Judashaar; das sich nicht lockt, ist Düwelshaar.
Zufrieden schlug er das Buch wieder zu und nahm es mit zu seinem alten Platz am Tisch, wo jetzt seine Schreibmaschine stand. In einem der Fächer in Beertas Schreibtisch fand er einen Bogen Briefpapier. Als er es in die Schreibmaschine spannte, ging die Tür auf. Van Ieperen trat ein, seine linke Schulter etwas hochgezogen. „Du erzählst es doch nicht weiter, nicht wahr, was ich da eben gesagt habe?“
    „Das wusste ich doch schon!“, sagte Maarten gereizt.
    „Ja, natürlich, ich meine nur“, sagte van Ieperen nervös. Er schloss die Tür wieder.
    „Arschloch“, murmelte Maarten. Er suchte die Tasten an der Schreibmaschine ab, bis er den Randlöser gefunden hatte, und begann zu tippen:
Sehr geehrter Herr, Herr Beerta bat mich, Ihren Briefzu beantworten. Ich habe mir hierzu die mir bekannten Sprichwörter- und Dialektwörterbücher angesehen und fand nur bei Boekenoogen (G. J. BOEKENOOGEN, De Zaansche volkstaal. Bijdrage tot de kennis van den woordenschat in Noord-Holland. Leiden 1897, S. 278): „Rotes Haar ist Judashaar; das sich nicht lockt, ist Düwelshaar.“
Das lässt mich vermuten, dass die Erklärung für die Abneigung gegen rotes Haar eher in einem biblischen Kontext gesucht werden muss.
Er stoppte und suchte nach einem weiteren Argument. Hatte Judas rotes Haar? Als er in Gedanken in das Buch sah, das neben seiner Schreibmaschine lag,

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