Das Büro
letzte Ehre zu erweisen, in einem Alter, in dem bei anderen das Leben erst noch anfangen muss.“
Maarten betrachtete den Sarg. Es lag ein gelbes Gesteck darauf, davor lagen noch einige wenige Blumen. Es war ein ungewöhnlich langer Sarg. Nijhuis war ziemlich groß gewesen. Mit halbem Ohr lauschte er Beertas Worten und versuchte, sich an Nijhuis zu erinnern, ohne dass es ihm ganz gelang, so als würde er bereits anfangen, ihn zu vergessen, noch bevor er richtig unter der Erde war. Beerta sprach mit großem Ernst und hoher Wertschätzung, doch seine Worte waren wenig inspiriert. Es lief darauf hinaus, dass er Nijhuis für seine große Hingabe lobte und ihn eine Stütze des Büros nannte, einen, auf den man jederzeit zählen konnte, bis ihm seine Krankheit das Arbeiten unmöglich gemacht hatte. „Dass so ein junger Mann, in so jungen Jahren, der sein ganzes Leben noch vor sich hat, aus unserer Mitte gerissen wird, könnte uns bitter stimmen, wenn wir uns nicht dessen bewusst wären, dass Gott seine eigenen Pläne mit uns hat, und ich hoffe aus der Tiefe meines Herzens, Frau Nijhuis, dass Er Ihnen die Kraft geben wird, sich dieser Gewissheit zu beugen.“ Danach wandte er sich dem Sarg zu und sagte mit einem kurzen Nicken: „Ade, Teun, mach’s gut.“
Schrecklich, dachte Maarten. Er schämte sich.
Auf Beerta folgte ein Pfarrer, und zum Schluss sprach ein Mann, der Nijhuis sehr ähnlich sah, nur etwas älter und mit vorgestrecktem Unterkiefer, ein Dankwort. Die Orgel setzte ein. Sie standen auf, um dem Sarg zu folgen. De Bruin blieb sitzen.
„Kommst du nicht mit?“, fragte Maarten.
„Das haut nich’ hin, mein Junge“, sagte de Bruin. „Aber Herr Beerta hat schön gesprochen, nicht wahr?“
„Es geht so“, sagte Maarten knapp.
Während de Bruin allein zurückblieb, drängten sie sich langsam hintereinander aus der Halle zum Friedhof hinaus. Es war ein Vorfrühlingstag, so wie der Tag, an dem Veerman beerdigt worden war, vielleicht etwas drückender. Sie versammelten sich um das Grab. Er betrachtete das harte, verschlossene Gesicht von Nijhuis’ Frau sowieihre beiden Kinder und versuchte, an Nijhuis zu denken, wie er vor ein paar Tagen bei ihm im Zimmer gestanden hatte, doch es gelang ihm nicht. Es rührte ihn nicht. Und doch mochte ich ihn ganz gern, dachte er vage, als sie in die Halle zurückgingen, um seiner Frau zu kondolieren.
*
„Wie heißt noch mal das Wort für ‚ein Mädchen unkeusch berühren‘?“, fragte Beerta und drehte sich zu Maarten um, der an seiner Schreibmaschine am Mitteltisch saß. „So“, er hielt die Hand hoch, rieb die Finger aneinander und kniff dabei die Augen zu.
„Ich habe keine Ahnung“, sagte Maarten. Er fragte sich, wofür um alles in der Welt Beerta das brauchte.
„Ich glaube ‚fingern‘?“
„Vielleicht ‚befingern‘. Ich weiß es wirklich nicht.“
„Nein, das bedeutet, glaube ich, an die Vulva fassen, aber ich meine es mehr
so
.“ Er rieb seine Finger erneut aneinander, die Hand erhoben. „Unkeusch berühren meine ich, so ein bisschen fummeln.“
„Das weiß ich nicht“, antwortete Maarten widerstrebend.
„Weißt du das nicht?“, fragte Beerta erstaunt. Er drehte sich noch etwas weiter um, so dass er Maarten ansehen konnte. „Das müsstest du doch wissen.“
„Aber ich weiß es nicht.“
Es hatte den Anschein, dass diese Antwort Beerta in höchstem Maße erstaunte. „Na gut“, er beugte sich wieder über seinen Text, „dann werde ich es eben allein herausfinden müssen.“
Einen Moment später stand er auf und verließ den Raum. Er blieb lange weg. Als er zurückkam, hatte er einen dürren Mann bei sich, der Maarten entfernt an van der Haar erinnerte. „Setzen Sie sich“, sagte er. „Es trifft sich ausgezeichnet, dass ich Sie gerade treffe. Ich wollte Sie nämlich schon seit einiger Zeit um einen persönlichen Rat bitten.“
Der Mann setzte sich in die Sitzgruppe.
„Rauchen Sie?“, fragte Beerta und zog die oberste Schublade seines Schreibtisches auf.
„Sicher“, sagte der Mann.
Beerta stellte zwei Zigarrenkisten der Marken Elisabeth Bas und Agio geöffnet vor ihn auf den Tisch und setzte sich. „Die Sache ist die“, sagte er, während der Mann eine Zigarre aussuchte, und legte die Fingerspitzen aneinander. „Vor einiger Zeit habe ich zusammen mit dem Nachbarn, der über mir wohnt und Professor ist, das Haus gekauft, in dem wir beide wohnen. Der Nachbar hat darin nur zwei Zimmer, obwohl er Professor ist.“ Er wartete
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