Das Büro
Nur Annechien begrüßte ihn mit dem Vornamen. Er blieb mitten im Raum stehen und sah sich um. Hinter Kees hing ein Plakat mit einem Stierkämpfer, ansonsten war die Wand weiß. Unter den Fenstern standenKästen mit Fragebogen, auf einer Länge von drei Metern bis zur Unterkante der Fenster aufgestapelt. „Wie geht’s hier voran?“, fragte er. Er blickte von einem zum andern.
„Ganz gut“, sagte Annechien. Sie trug ein weitgeschnittenes braunes Kleid ohne Gürtel, ihr Gesicht wirkte etwas aufgedunsen.
„Jedenfalls besser als vorher“, fand Stoutjesdijk.
„Ich werde Fräulein Bavelaar fragen, ob ihr Schreibtischlampen bekommen könnt“, sagte Maarten, der den Eindruck hatte, dass der Raum vielleicht deswegen so kahl wirkte. In der Gesellschaft seines Personals fühlte er sich unbehaglich, und er war sich bewusst, dass er auch darin seinem Vater ähnelte, über den man sich erzählte, dass er niemals sein Zimmer verlassen hatte.
„Dürfen wir eigentlich auch mal etwas fragen?“, sagte Heidi. Es klang aggressiv und gekränkt, doch fast alles, was Heidi sagte, klang so. Auch ihr Gesicht wirkte aggressiv und gekränkt.
„Natürlich“, sagte Maarten.
„Was machen wir hier eigentlich?“
„Was ihr macht?“ Die Frage amüsierte ihn. Er zog einen Stuhl heran, der in seiner Nähe stand, und setzte sich rittlings darauf, mit seinen Armen auf der Lehne. „Annechien überträgt die Erzählungen, die hereinkommen, auf Karteikarten, Kees die Daten aus dem Fragebogen 21 über Volksheilkunde und du die aus dem Fragebogen 1.“
„Ja, das ist schon klar, aber was hat das für einen Sinn, all die Daten noch einmal abzuschreiben und in ein Karteisystem zu stecken? Das kostet doch unglaublich viel Geld!“
„Ja, das kostet Geld“, gab er zu.
„Und? Was hat das für einen Sinn? Das verstehe ich nicht. Sie stehen da doch gut, in den Fragebogen!“
Maarten dachte nach. Er sah Annechien an. „Warum tun wir das?“, fragte er.
„Das weiß ich nicht“, sagte sie. „Das ist mir auch egal.“
„Wir machen einen Atlas“, sagte Maarten zu Heidi. „In diesen Atlas kommen Karten, auf denen man die Verbreitung von allerhand Phänomenen sehen kann. Die Daten dafür stammen aus einer ganzen Reihe von Quellen: Fragebogen, Erzählungen, der Literatur, Zeitungsausschnitten,und so weiter. Und weil sich unmöglich im Voraus sagen lässt, welche Phänomene eine interessante Verbreitung haben, und man auch nicht jedes Mal all die Quellen wieder durchsuchen kann, sammeln wir systematisch alle Daten, die wir finden, und zwar nach Stichworten. Wenn man dann wissen will, ob eine Karte Sinn ergibt, braucht man nur noch in das Karteisystem zu schauen.“
„Und wann ergibt so eine Karte Sinn?“, fragte sie etwas unsicher.
Er lachte. „Wenn eine Kulturgrenze draufsteht.“
„Was ist das, eine Kulturgrenze?“ Ihre Hartnäckigkeit machte sie selbst verlegen. „Ist nur so eine Frage“, entschuldigte sie sich. „Ich möchte einfach wissen, womit ich mich eigentlich beschäftige.“
Er stand auf und zog den Stuhl unter sich fort. „Ich werde dir ein Beispiel geben. Einen Moment.“ Er verließ den Raum. „Ich habe jetzt eine wissenschaftliche Hilfskraft“, sagte er amüsiert, als er sein Zimmer betrat, „die wissen möchte, was der Sinn hinter dem Atlas ist.“
„Das ist doch nicht so schwer“, antwortete Beerta, ohne von der Arbeit aufzublicken.
„Na ja …“ Er suchte zwischen den Karten, die auf der Ecke des Tisches lagen, die über die Nachgeburt des Pferdes. „Einfach ist etwas anderes.“
„Es ist schlicht und ergreifend für die Wissenschaft.“
„Ja, die Wissenschaft“, sagte Maarten skeptisch und zog ein Exemplar der
Mitteilungen
mit seinem Artikel über die Nachgeburt aus dem Bücherregal, das auf seinem Schreibtisch stand. „Ich fürchte, dass das kein Argument ist.“
„Dann gehört sie nicht hierher. Wer ist es?“
„Heidi Bruul“, antwortete Maarten, während er die Tür öffnete und den Raum wieder verließ.
„Das hier ist die Karte der Nachgeburt des Pferdes“, er legte die Karte auf ihren Schreibtisch, „und das ist für dich“, er schob ihr das Exemplar der
Mitteilungen
zu. „Was ich gleich erzählen werde, steht da drin.“
Sie beugte sich über die Karte. Kees Stoutjesdijk stand auf und sah ihr über die Schulter.
„Wenn du genau hinschaust, siehst du hier eine Grenze.“ Er zog eine Linie, die das östliche Brabant und Limburg vom Rest der Niederlande abschnitt.
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