Das Büro
als auch Nicolien gegenüber. Er hörte, wie sie wütend in der Küche den Kaffee mahlte.
„Parteigenossen“, antwortete sein Vater, während er in dem Buch blätterte. „Abschnitt West, glaube ich. Taugt das Buch was?“
„Ich finde es sehr gut.“ Er sah zu, während sein Vater andächtig eine Seite las.
„Willst du dir keine Pfeife stopfen?“, fragte sein Vater. Er hielt ihm seinen Tabaksbeutel hin, ohne von seiner Lektüre aufzublicken.
„Nicht gleich nach dem Essen.“
Sein Vater steckte den Tabaksbeutel wieder ein und blätterte die Seite um.
Maarten beobachtete die Katze, die aus der Küche ins Zimmer kam und neben ihn auf die Couch sprang. „Na, Jonas?“ Er streichelte ihren Kopf und kraulte sie hinter dem Ohr. Die Katze begann zu schnurren.
„Der Mann schreibt gut“, sagte sein Vater, während er das Buch zuklappte und auf den Stapel zurücklegte, „aber ich bin zu alt dafür.“
„Wofür bist du denn nicht zu alt?“
„Krimis. Der Rest interessiert mich nicht mehr.“
„Mochtest du früher eigentlich Rilke und Stefan George?“
„Stefan George nicht. Rilke … ja, aber das ist lange her. Warum fragst du?“ Er sah Maarten forschend an.
„Weil Beerta große Stücke darauf hält.“
„Beerta! Ja, das kann ich mir vorstellen. Das ist genau das Richtige für ihn.“
„Und Henriette Roland Holst?“
„Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“, sagte sein Vater unwillig. „Wahrscheinlich schon. Das gehörte damals dazu. Ich glaube, dass ich sogar etwas von ihr habe.“
„Auf jeden Fall hast du
De Nieuwe Geboorte
und
Opwaartsche Wegen
.“
„Woher weißt du das?“, fragte sein Vater argwöhnisch. „Stehen die jetzt etwa in eurem Bücherschrank?“
Maarten lachte. „Ich mag ihre Sachen nicht.“
„Na, dann ist es ja gut“, sagte der Vater ironisch. „Wenn du sie nicht magst, stehen sie bei mir ja sicher.“
Nicolien kam mit dem Kaffee herein. „Bitte“, sie stellte die Tasse vor seinen Vater hin.
„Du hast doch keinen Zucker hineingetan?“, fragte sein Vater.
„Nein“, sagte sie.
„Ich frage ja nur.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „In zehn Minuten muss ich los. Wie weit ist es zu Fuß?“
„Zwanzig Minuten“, schätzte Maarten. „Ich begleite dich.“
Es stürmte. An der Gracht gingen sie noch halbwegs geschützt, doch kaum waren sie um die Ecke gebogen und hatten die Brücke über die Nassaukade überquert, kam der Wind direkt von vorn. Das Wasser der Singelgracht klatschte gegen das Ufer. Wild schlingerten die Lichter der Laternen im Wasser hin und her. Außerhalb des Lichtscheins war es stockdunkel. Schweigend kämpften sie sich nebeneinander gegen den Wind weiter in Richtung der Markthallen. Über dem Wintermantel trug sein Vater einen Plastikregenmantel, der um seine Beine flatterte. In der rechten Hand hatte er sein Köfferchen mit den Dias. Auf der Brücke über die Kostverlorenvaart blieb er stehen. Er nahm den Koffer in die andere Hand und griff zum Geländer. „Warte kurz“, sagte er.
Maarten blieb stehen und sah ihn an. Sein Vater keuchte. Im Licht der Natriumlampen wirkte sein Gesicht fahl. „Kannst du nicht mehr?“, fragte er beunruhigt.
„Bei diesem Wind kriege ich kaum Luft.“ Er richtete sich etwas auf, um seiner Brust mehr Platz zu verschaffen.
Maarten lachte. Es war Unsicherheit, doch es klang wie Schadenfreude, und er war sich auch nicht ganz sicher, dass keine Schadenfreude dabei war.
„Ja, mein Junge“, sagte sein Vater resigniert, „dein Vater ist nicht mehr so jung.“
Maarten schämte sich. „Soll ich den Koffer tragen?“ Er streckte die Hand aus.
„Nein“, er hielt den Koffer fest, „es geht schon wieder.“ Der Plastikmantel spannte sich so eng über seinen Wintermantel, dass er aussah wie eine vollgestopfte Wurst, obwohl er doch nur ein kleiner, dürrer Mann war.
Ganz langsam gingen sie die letzten hundert Meter gegen den Wind zum Marcanti. Erst im Windschatten des Gebäudes kam sein Vater wieder etwas zu Atem. Er blieb einen Moment stehen, bevor er eintrat, als wolle er sich erst wieder völlig im Griff haben, und setzte dann entschlossen die Drehtür in Bewegung. Die Halle war menschenleer. In der Ferne, aus einem erleuchteten Raum, hörte man Stimmengewirr. „Dort wird es sein“, sagte sein Vater und schritt auf die Garderobe zu. Während er seinen Mantel aufhängte, kamen weitere Personen durch die Drehtür auf sie zu. Scheu wandte sich sein Vater ab, offenbar unsicher über seine Rolle, und
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