Das Büro
anderen Projekten, mit denen er sich im Büro beschäftigen muss, kann er sich des Spotts seiner Umwelt gewiss sein. So versucht man etwa – weitgehend vergeblich –, in einer großangelegten Feldstudie über den Umgang des Volkes mit der Nachgeburt des Pferdes – wird sie aufgehängt oder vergraben? – sogenannte „Kulturgrenzen“ aufzuspüren. Man erforscht die „Wände des Bauernhauses“, jagt dem „Kornschreck“ nach oder kartiert die „regionalspezifische Bezeichnung des Blitzes“ im Lande. Kurzum, es handelt sich um Projekte, die man dem Steuerzahler besser verschweigt, völlig aus dem Ruder gelaufene Hobbys der Institutsleitung, wie Maarten später einmal einem jungen Kollegen anvertraut.
Verteilt über das ganze Land unterhält das Büro ein Netz von „Korrespondenten“, Informanten, die regelmäßig Besuch von den Forschern aus Amsterdam erhalten, um eingehend „über früher“ befragt zu werden. Zum Ausgleich für die strapaziöse „Feldarbeit“ geht es mehrmals im Jahr nach Antwerpen zum feucht-fröhlichen Gedankenaustausch mit den flämischen Kollegen oder, ebenfalls ein beliebtes Reiseziel, zu den Volkskundlern nach Münster, wo dann feudal imRatskeller gespeist wird. Höhepunkte des wissenschaftlichen Büro-Jahres sind jedoch die internationalen Konferenzen über den „Europäischen Atlas“, wo man sich mit der internationalen Kollegenschaft über europaweite „Weihnachtsbaum-“ oder „Jahrfeuer-Karten“ streitet, Gerüchte austauscht (oder streut) und, vor allem, Intrigen spinnt. Unnötig zu erwähnen, dass auch der Europäische Atlas nicht eben zu einem Ruhmesblatt der Wissenschaft gerät.
So ist es also auch kein Wunder, dass Maarten seiner Arbeit wenig Sinn abgewinnen kann, doch er tut sie aus einem tiefen Pflichtgefühl heraus.
„Als ich bei Herrn Beerta anfing zu arbeiten, fand ich alles, was man hier tat, völlig idiotisch, Unsinn! […] Es hat Jahre gedauert, bis ich begriff, welcher Gedankengang dahinter steckte und was Beerta eigentlich wollte. Dass sich das schließlich auch als Unsinn herausstellte, war natürlich schon eine Erleichterung, aber ich habe dennoch versucht, in seinem Geiste weiterzuarbeiten, denn dafür war ich eingestellt worden.“
Maarten verbringt seine Tage mit dem Anlegen von Karteikarten über alles, was er nicht versteht und von dem er hofft, es irgendwann später vielleicht doch einmal zu verstehen, langweilt sich auf zahllosen Sitzungen wissenschaftlicher Museumskommissionen oder heimatgeschichtlicher Arbeitsgruppen, wo er den Wissenschaftler geben muss – und hadert derweil mit seinem Los.
Das Institut wächst mit den Jahren, und nicht immer hat man eine besonders glückliche Hand bei der Auswahl des Personals. Dabei hätte man es bei so manchem Vorstellungsgespräch bereits erahnen können:
„Setzen Sie sich, Herr Slofstra“, sagte Beerta freundlich.
„Vielen Dank.“ Er setzte sich, stellte seine Aktentasche neben sich auf den Boden und sah Beerta an. „Je parle toutes les langues, exceptée la langue française, parceque c’est une langue très difficile“, sagte er hart und tonlos, als ob er aus einem Lehrbuch zitierte.
„Gut so“, sagte Beerta ungerührt. „Das kann Ihnen hier nützlich sein.“
Doch die wirklichen Probleme beginnen erst mit der Einstellung von Ad Muller und Bart Asjes, zwei Gestalten, die sich schon bald als personelle Totalausfälle erweisen. Während der eine bereits kurz nach Dienstantritt von „brennenden Augen“, hartnäckigen „Rachenpusteln“ und anderen ominösen Krankheiten heimgesucht wird, die ihn über Jahre hinweg immer wieder wochenlang ans Krankenlager fesseln, ist der andere eher der Kategorie der Totalverweigerer zuzurechnen: Geschickt versteht er es, Maarten in endlosen Diskussionen über noch den kleinsten Arbeitsauftrag so zu zermürben, dass dieser schließlich aufgibt und seinen Job gleich mit erledigt.
Zwei wahre Geißeln der arbeitenden Menschheit, man kann es nicht anders sagen. Und es kommen im Laufe der Zeit weitere hinzu. Denn auch viele der anderen aus diesem „Haufen von Tölpeln“, mit denen der inzwischen zum Abteilungsleiter aufgestiegene Maarten sich tagtäglich herumschlagen muss, sind alles andere als eine Zierde der Zunft: Wenn sie nicht gerade an einer ihrer (insgesamt eher seltenen) Publikationen herumwerkeln – deren wissenschaftliche Qualität gelegentlich so hundserbärmlich ist, dass Maarten nur noch durch ein Veröffentlichungsverbot den gröbsten
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