Das Büro
einfach weiter ‚Herr Beerta‘ sagen“, sagte er, ohne aufzublicken.
„Wie du willst“, sagte Beerta kühl. Er drehte sich um und setzte sich wieder. Maarten hatte den Eindruck, dass ihn diese Antwort tief verletzt hatte.
*
Amsterdam, 7. September 1990 – 20. Juli 1991
Das Büro – ein Buch des Trostes
Von Gerd Busse
Kurz vor der Jahrtausendwende konnte man in den Niederlanden Zeuge eines sonderbaren Phänomens werden: Die Nation nahm über mehrere Jahre hinweg und mit wachsender Intensität Anteil am Schicksal eines Büroangestellten namens Maarten Koning. Mit atemloser Spannung folgte man seinem Treiben, durchmaß mit ihm die Höhen und Tiefen einer dreißig Jahre währenden Büro-Existenz mit all ihren Sinnkrisen und verlor dabei doch nie ganz die Hoffnung, dass sich das Blatt eines Tages noch wenden und sein Martyrium ein Ende nehmen könnte.
So viel Anteilnahme am Schicksal eines Romanhelden, der anders als Harry Potter ganz ohne übernatürliche Kräfte auskommen muss, ist bemerkenswert und bedarf der Erklärung. In der Figur des Maarten Koning hatte sich ihr Schöpfer, der niederländische Autor J. J. Voskuil, sein Dasein als „wissenschaftlicher Beamter“ an einem Amsterdamer Institut für Volkskunde von der Seele geschrieben. An diesem Ort hatte er selbst dreißig Jahre seines Lebens zugebracht und ihn anschließend zum schillernden Gegenstand eines fünftausend Seiten umfassenden Megaromans mit dem schlichten Titel
Het Bureau
, „Das Büro“, erkoren. In nur viereinhalb Jahren, vom Herbst 1990 bis zum Januar 1995, schrieb er den Zyklus, der es im Umfang mit Marcel Prousts Roman
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
aufnehmenkann und zwischen 1996 und 2000 in sieben voluminösen Bänden erschien.
Bereits kurz nach dem Erscheinen des ersten Bandes im Jahre 1996 entwickelte sich der Roman in den Niederlanden zu einem nationalen Großereignis. Die Leser waren so fasziniert von der Lebensbeichte des kleinen Angestellten Maarten Koning, dass sie sich morgens vor den Buchhandlungen drängten, wenn ein neuer Band der Büro-Saga ausgeliefert wurde. Der Verlag G. A. van Oorschot verkaufte mehr als 450.000 Exemplare des Romans, doch das Heer derer, die Anteil am Leben Maarten Konings genommen haben, dürfte noch um ein Vielfaches größer sein. Ein Theaterstück nach Motiven des Buches war monatelang ausverkauft, und im niederländischen Radio wurde jahrelang eine Hörspielfassung des kompletten Romans gesendet; 2011 startete wegen der regen Nachfrage eine Wiederholung. Als das reale „Büro“ 1998 an den Stadtrand von Amsterdam umzog, wurden auf vielfachen Wunsch aus der Bevölkerung in den alten Büroräumen Führungen für Voskuil-Fans veranstaltet. Dabei liefen manche der Mitarbeiter mit Namensschildern herum, auf denen ihr eigener Name und der ihres Roman-Egos standen, und führten kleine Rollenspiele für ihr Publikum auf. Der Besucherandrang war überwältigend. Und wer in Amsterdam auf den Spuren Maarten Konings wandeln und die Wege etwa von seiner Schlafhöhle zu seinen beruflichen Wirkungsstätten und von dort zum Markt für den mittäglichen Einkauf der Kartoffeln für Nicolien abschreiten will, wird bestens mit einem „literarischen Stadtführer“ zu J. J. Voskuil bedient. Ein „Kreuzweg“ der besonderen Art.
Ganze Belegschaften niederländischer Firmen und Büros fanden sich zu
Het Bureau
-Fanclubs zusammen, darunter auch einige begeisterte Leser, die dem Autor ein ganzes Buch mit ihren eigenen, ergreifenden Büroschicksalen füllten und es ihm feierlich bei einem seiner Auftritte überreichten. Doch nicht nur auf den Bürofluren und in den Amtsstuben – sogar auf den Sterbelagern des Königreichs war
Het Bureau
noch ein Thema. So wandte sich die schwerkranke Amsterdamer Stadträtin Annemarie Grewel 1998 an den Voskuil-Verleger Wouter van Oorschot und bat um Einblick in die bisdahin noch nicht erschienenen Bände des Romans, damit sie in Frieden sterben könne.
Um
Het Bureau
und seinen Helden Maarten Koning kam es zu einem Medienhype, wie ihn die Niederlande noch nicht erlebt hatten. Es gab lange Interviews mit dem Autor in Funk und Presse, die um ausführliche Hintergrundberichte über das reale Büro und dessen „Insassen“ ergänzt wurden, und die Literaturkritik übertraf sich in Lobeshymnen, wenn sie sich nicht verwundert über den Riesenerfolg des Werkes die Augen rieb. Mit
Het Bureau
war ein Roman zum Bestseller avanciert, der keinen wirklichen Plot kennt, mit
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