Das Büro
er zuhörte, ohne die Bedeutung ihrer Worte zu sich durchdringen zu lassen, sah er an Beerta vorbei nach draußen, auf die vorbeiziehende Weidelandschaft. Draußen herrschte Frühling, ein Frühlingsabend. Der Schatten des Waggons schob sich durch die Weiden, am Rand des Entwässerungsgrabens vorbei. In dem Schatten zeichneten sich die Fenster als helle Flecken ab. Über den Weiden mit den Kühen und Schafen lag das goldene Licht der untergehenden Sonne. Die Sehnsucht, dort zu gehen, ergriff ihn so stark, dass er für einen Moment seine Umgebung vergaß.
„Auch ein Pfefferminzbonbon?“, fragte Kaatje Kater. Sie hatte ihre Tasche geöffnet und hielt ihm eine angebrochene Rolle Pfefferminz hin.
„Gern“, sagte er und schreckte auf. Er zog das oberste Pfefferminzbonbon ungeschickt zu sich heran. „Vielen Dank.“ Er hatte den Eindruck, dass sie es vermied, ihn mit
Sie
anzusprechen, und das gab der Geste eine unerwartete Intimität, mit der er nicht gut umgehen konnte.
Vom Bahnhof aus gingen sie durch die Innenstadt zum Haus von Hillebrink. Beerta und Kaatje Kater unterhielten sich über eine Ausstellung, die sie beide besucht hatten. Kaatje Kater kritisierte den Katalog.
„Nein, Kaatje“, sagte Beerta. „Du bist wirklich zu kritisch. Ich finde, es ist ein sehr guter K-katalog. Außerdem hat ihn ein guter Freund von mir geschrieben.“
„Aha! Das ist des Pudels Kern! Ja, dann ist mir alles klar!“
„Aber wenn ich ihn nicht gut finden würde, hätte ich es auch gesagt.“
„Und du denkst wirklich, dass ich das glaube?“ Sie tippte gegen seinen Arm. „Anton! Ich kenne dich!“
„Ja, du kennst mich“, sagte Beerta lächelnd.
Maarten ging auf der anderen Seite neben Beerta, einen Schritt hinter den beiden. Es war still. Die Fensterrahmen der oberen Etagen, die Dachrinnen und die Türme des Doms am Ende der Straße lagen noch im Sonnenlicht, die Straße selbst befand sich bereits im Halbdunkel. Es liefen nur noch wenige Menschen herum, und es gab fast keinen Verkehr. Die Bäume an der Gracht, die sie überquerten, waren hellgrün. Auf einer Dachtraufe saß eine Amsel und sang. Er sah sich um und lauschte, doch in Gesellschaft der beiden anderen hatte er nicht das Gefühl, dass er zu diesem Abend gehörte. Der lag unerreichbar fern, in einer anderen Wirklichkeit.
Professor Hillebrink wohnte hinter der Kirche. Dicht vor seinem Haus hielt Kaatje Kater Beerta an. „Erzähl noch mal eben. Wie geht es Hillebrink jetzt?“
„Körperlich geht es rasch abwärts, aber geistig ist er noch auf der Höhe“, antwortete Beerta ernst.
„Zum Glück. Ich meine nur.“
Sie klingelten, eine große Kupferklingel, die im Haus widerhallte. Frau Hillebrink öffnete ihnen. Professor Hillebrink lag auf einer Couch im Wohnzimmer, unter einer karierten Decke. Er kam ein kleines Stück hoch, auf einem Ellbogen, um ihnen die Hand zu geben, und ließ sich sofort wieder zurücksinken. Sein Gesicht hatte eine wächserne Farbe und wirkte eingefallen. Es waren noch drei Kommissionsmitglieder im Zimmer, Professor van Straten, emeritiert, Fräulein van der Gracht, eine schon vor langer Zeit pensionierte Lehrerin mit Interesse an Volkskultur, und Piermans, ein verhältnismäßig erfolgreicher Verleger mit viel Volkskultur in seinem Programm. Sie saßen im Halbkreis um Professor Hillebrinks Couch. Zwischen ihnen stand ein kleiner, mit einem Perserteppich bedeckter Tisch. Einer nach dem anderen kamensie aus ihren Sesseln hoch, um ihnen die Hand zu geben. Piermans entschuldigte sich im Voraus, dass er in einer Stunde schon wieder wegmüsse, weil er den letzten Zug Richtung Norden erreichen wolle. Die Vorsitzende setzte sich und holte ein Bündel Papiere aus der Tasche. „Sollen wir dann mal anfangen?“, fragte sie und blickte in die Runde. „Oder erwarten wir noch jemanden?“ Sie sah Beerta an.
„Wir können anfangen“, sagte Beerta mit einem steifen Nicken.
„Dann eröffne ich die Sitzung und beginne mit den Protokollen. Hat jemand etwas auf Seite eins?“
„In der sechsten Zeile von unten, fünftes Wort, steht ein Tippfehler“, sagte Professor van Straten mit einem leichten Groninger Akzent, „das
r
muss ein
t
sein.“ Es war ein alter, stämmiger und autoritärer Mann in einem dunklen Anzug mit Weste. Seine Stimme knarzte ein wenig.
Außer Maarten, der keine Papiere hatte, weil er bei der vorigen Sitzung noch nicht dabeigewesen war, suchten sie alle die Stelle, Professor Hillebrink liegend.
„In der Tat“,
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