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Das Camp

Titel: Das Camp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Tondern
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Bauch.
    Luk fand den kleinen Schalter an der Neonleuchte. Die Röhre flackerte zweimal, dann war sie an.
    Luk hatte erwartet, dass Benjamin sich geschlagen geben würde, wenn das Licht erst mal brannte. Aber das Gegenteil trat ein. Er wehrte sich noch verzweifelter.
    Im Spiegel über dem Waschbecken konnte Luk sehen, dass Benni in der Dunkelheit den Vorhang, der den schmalen Toilettenraum vom Rest des Zimmers abgetrennt hatte, in Streifen zerlegt hatte. Wie er das geschafft hatte, ohne Messer
oder Schere, war Luk ein absolutes Rätsel. Bis er in dem kleinen Emaillewaschbecken die scharfkantigen Scherben des zerschlagenen Abendbrottellers entdeckte.
    Trotz seines verletzten Arms war es Benjamin gelungen, aus den Plastikstreifen ein Seil zu flechten. Das eine Ende des Seils hatte er an dem Haken für die Deckenlampe befestigt. Aus dem anderen Ende hatte er eine Schlinge geknüpft und sie sich um den Hals gelegt.

25
    Plötzlich krachte es. Luk hatte es geschafft, zu Benni auf den Stuhl zu steigen. Er wollte die Schlinge lockern und sie Benni über den Kopf streifen.
    Aber er hatte nicht bedacht, wo er war. In diesem verdammten Camp war alles heruntergekommen und billig zusammengeschustert. Der Stuhl ächzte unter dem Gewicht der beiden Jungen und brach plötzlich unter ihnen zusammen.
    Während sie gemeinsam zu Boden stürzten, spürte Luk, wie ein Ruck durch Benjamins Körper ging. Das Seil! Die Schlinge musste sich noch fester um Bennis Hals zusammengezogen haben, bevor es dann gerissen war. Aus, dachte Luk. Aus und vorbei. Sein Eingreifen hatte alles nur noch verschlimmert. Aber jedenfalls hatten sie so viel Krach gemacht, dass gleich die Betreuer angerannt kommen würden, um herauszufinden, was der Lärm mitten in der Nacht zu bedeuten hatte.
    Doch es blieb still. Nichts passierte.
    Vielleicht lag die Krankenstation in einem Bereich des
Camps, der nachts nicht überwacht wurde. Oder der zuständige Betreuer genehmigte sich gerade wieder eine Raucherpause.
    Der Einzige, der sich überhaupt rührte, war Benjamin. Sie lagen übereinander auf dem Boden. Benjamin versuchte, Luk runterzuschieben. Er strampelte mit den Beinen. Sein Röcheln wurde immer verzweifelter.
    Gott sei Dank! Er lebte.
    Luk lockerte hastig die Schlinge um Bennis Hals und streifte sie Benni behutsam über den Kopf. Benjamin keuchte. Er ließ sich zurücksinken und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
    Luk stand auf und sah nach oben. Der Haken, an dem Benjamin das Steil befestigt hatte, war aus der Decke gerissen worden.
    Benni lag immer noch auf dem abgenutzten Linoleumboden, den Kopf neben der Toilettenschüssel, die Augen geschlossen. Seine Nasenflügel weiteten sich bei jedem Atemzug.
    »Ich hol einen Arzt«, sagte Luk. »Oder einen Sani. Irgendjemanden müssen die hier doch haben.«
    Benni schüttelte unwillig den Kopf.
    »Was dann? Kannst du aufstehen?«, fragte Luk.
    Benni nickte schwach. Er machte einen Versuch, sich mit einer Hand hochzustemmen, sank aber wieder zurück.
    Luk packte ihn unter den Armen und zog ihn hoch. Er schleifte Benni zu seinem Bett. Benjamin signalisierte, dass er was zu trinken brauchte. Luk füllte am Hahn des Emaillebeckens die Wasserflasche, die sie zum Abendessen bekommen hatten, und brachte sie Benni.
    »Kannst du sprechen?«
    »Doch.« Benjamins Stimme klang heiser. Aber als er getrunken
hatte, wurde sie kräftiger. »Doch, kann ich. Ich muss nur die Stimmbänder erst wieder lockern, Mann.«
    Luk blickte unwillkürlich auf Bennis Hals.
    »Sieht man da was?«, wollte Benjamin wissen.
    Luk schüttelte den Kopf. »Nur eine leichte Rötung. Fällt keinem auf, der nicht weiß, was passiert ist.« Luk zögerte. »Sag mal, was sollte das überhaupt? Warum willst du dich unbedingt umbringen?«
    »Hättest du nicht einfach weiterpennen können?«, sagte Benni.
    »Zum Glück bin ich noch rechtzeitig aufgewacht.«
    »Klar! Luk der Held! Wie im Kino. Nur dass die Helden dort immer Mädchen retten. Das hast du wohl übersehen, was? Aber ich, ich bin kein Held. Weißt du, was ich bin, Luk?«
    Luk hatte wirklich keine Ahnung, worauf Benjamin hinauswollte. Er wartete.
    »Opfer«, sagte Benni. »So haben sie mich in der Schule immer genannt. Und genau das bin ich. Das ewige Opfer. Immer der Letzte beim Morgenappell, immer das Arschloch, immer der, auf dem sie alle rumtrampeln. Du hast wahrscheinlich 50 Autos geklaut und zu Schrott gefahren und beim 51. haben sie dich dann geschnappt und du bist hier gelandet. Weißt du, was ich

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