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Das Camp

Titel: Das Camp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Tondern
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getan hab?«
    Er wartete gar nicht erst ab, dass Luk antwortete.
    »Nichts«, sagte er. »Gar nichts hab ich getan.«
    »Klar«, sagte Luk.
    »Ja, weiß ich auch, das sagen alle hier. Alle sind unschuldig. Aber bei mir ist es wirklich so. Eines Morgens standen die Bullen vor unserer Tür. Kurz nach sechs. Meine Mam hatte die Klingel nicht gehört. Sie stand gerade unter der Dusche. Ich wurde wach, als sie mit der Faust gegen die Tür
schlugen. Ich dachte, es brennt oder so was. Sie waren zu zweit. Als ich aufmachte, schoben sie mich beiseite, stießen sämtliche Türen auf, auch die, hinter der meine Mam splitternackt unter der Dusche hervorkam, und machten sich daran, mein Zimmer zu durchsuchen. Dann musste ich mich anziehen und sie haben mich mitgenommen. Auf der Wache haben sie mir gesagt, was überhaupt los war. Jemand hatte einem alten Mann eins über die Rübe gegeben und ihm die Brieftasche abgezogen.«
    »Und wie sind sie auf dich gekommen?«
    »Weiß ich bis heute nicht. Es gab wohl irgendeinen Hinweis, keine Ahnung, von wem.«
    »Hast du irgendwas unterschrieben?« Die Frage kam schon fast automatisch.
    »Ja, später. Als der Prozess angesetzt wurde. Da kam so ein Typ zu uns nach Hause. Wir dachten, der wollte uns Zeitschriften verkaufen oder so was. Aber der war Anwalt. Kriegen wir alles geritzt, sagte er dauernd. Ich musste irgendwas unterschreiben. Dann kommt er nicht in den Knast, hat er gesagt. Davor hatte meine Mam am meisten Angst: dass ich ins Gefängnis muss. Nicht mal zehn Minuten hat das alles gedauert. Dann zog der Kerl wieder ab mit seinen Formularen. Meine Mam hat ihm sogar noch Kekse mitgegeben, die sie gerade gebacken hatte. So dankbar war sie ihm.«
    Drei Wochen später, auf dem Weg ins Kino, hatten ihn die Transporteure abgefangen. Es waren dieselben beiden Typen gewesen, die auch Luk ins Camp gebracht hatten.
    »Aber deswegen brauchst du dich doch nicht gleich umzubringen«, sagte Luk.
    »Ich geh hier sowieso drauf. Wie lange hast du gebraucht, bis sie dir Stiefel gegeben haben?«
    »Zwei Wochen, glaub ich. Vielleicht zwei, drei Tage mehr.«
    »Siehst du! Und ich bin seit über zwei Monaten hier.« Er streckte Luk seine verhornten, entzündeten Füße hin. »Ich komm nie aus Stufe eins raus.«
    »Blödsinn.«
    »Und außerdem, die anderen werden immer stinkiger.«
    »Schlagen sie dich?«
    »Jeden Tag. Aber jetzt haben sie gedroht, mich in der Scheiße zu ertränken. Sie überlegen schon, wie sie es machen müssen, damit es wie ein Unfall aussieht.«
    »Wie soll das denn gehen? Wollen sie dich im Klo runterspülen?«
    Benni blieb ernst. »Das Camp ist nicht an die Kanalisation angeschlossen. Zu abgelegen. Der ganze Dreck fließt in ein Bassin hinter den Garagen. Alle drei Monate kommt ein Güllewagen und pumpt das Zeug ab.«
    »Und wenn ich dir helfe?« Luk wunderte sich über sich selbst. Was war denn plötzlich los mit ihm? Ausgerechnet dieser Fettsack. Dieses Opfer!
    Um solche Leute hatte er schon immer einen großen Bogen gemacht. Benni grinste. Zum ersten Mal, seit sie gemeinsam mit dem Stuhl zusammengekracht waren.
    »Du bist Stufe zwei, Mann. Du hast hier überhaupt nichts zu melden. Wie willst du mir denn helfen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Luk.

26
    Der Kontakt zur Außenwelt war streng geregelt im Camp. Das Handy wurde einem gleich bei der Ankunft abgenommen.
Gespräche waren allein im Festnetz erlaubt. Es gab, wie Luk erfuhr, im Verwaltungsbereich eine Telefonzelle, in der man angerufen werden konnte. Solche Gespräche mussten mehrere Tage im Voraus bei der Verwaltung angemeldet werden.
    »Kannst du vergessen«, flüsterte Oleg, als Luk ihn beim Ausschachten danach fragte. »Klappt frühestens ab Stufe sechs.«
    Die Computer im Schulungsraum hatten allesamt keinen Internetanschluss. Blieb eigentlich nur die gute alte Schneckenpost.
    Einmal pro Monat durfte jeder Camp-Bewohner, der mindestens Stufe zwei erreicht hatte, einen Brief abschicken und einen empfangen. Pro Monat konnte man am jeweils letzten Samstag einen Bogen Papier und einen Umschlag bei seinem Gruppenführer beantragen.
    Luk hatte eigentlich vorgehabt, überhaupt nicht zu schreiben. Inzwischen hatte sich eine gewaltige Wut auf seine Eltern in ihm angesammelt. Ihm wurde immer deutlicher, dass sie es waren, die ihm das Camp eingebrockt hatten. Sie ganz allein. Selbst jetzt noch konnten sie ihn hier herausholen, wenn sie nur wollten. Sie brauchten nur Dr. Enno Schwarz in Marsch zu setzen. Dem Anwalt würde schon was

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