Das Camp
extra einen schweren Vorschlaghammer gegeben.
»Was soll das hier eigentlich werden?«, fragte Luk, als der Ingenieur seine Nachmittagspause einlegte.
»Haben sie euch das nicht gesagt?«
»Kein Wort.«
»Dann wollen sie nicht, dass ihr das wisst«, sagte Haufeld. Er griff beiläufig nach einer seiner Pergamentrollen und breitete sie auf seinen Knien aus. Mit dem Zeigefinger fuhr er an einigen Linien entlang, die Luk schließlich wiedererkannte. Genau diese Strecken hatten sie heute vermessen.
Luk hatte keine Ahnung von Bauplänen. Doch was er da sah, waren offenkundig die Grundrisse von Gebäuden. Ziemlich großen Gebäuden. Aber er stand hier mitten im Nirgendwo. Irgendwo am Ende der Welt. Was für einen Sinn machte es, hier diese riesigen Gebäude zu errichten? Doch er verkniff sich jede Frage. Er wollte den Ingenieur nicht allzu sehr bedrängen.
Kurz vor Feierabend kam Pannewitz und holte Luk ab. »Na, wie hat er sich angestellt?«
Der Vermesser verstaute gerade seine Geräte im Bully. »Ging so«, sagte er, ohne Luk eines einzigen Blickes zu würdigen. »Er muss noch’ne Menge lernen. Aber ich kann nicht morgen schon wieder einen dieser Typen anlernen.«
»Brauchen Sie auch nicht«, beschwichtigte der Zugführer. »Wenn Sie mit dem hier klarkommen, kriegen Sie ihn morgen wieder.«
Luks neuer Zug hatte den Tag mit Schachtarbeiten verbracht. Die Jungs hatten mit ihren Schaufeln gewaltige rechteckige Löcher in die Lichtung gegraben und die Erde mit Schubkarren abtransportiert. Eine ziemliche Knochenarbeit. Die Jungs waren durchgeschwitzt und keuchten vor Erschöpfung.
Benjamin war immer noch bei den Baumfällern. Luk sah Benni beim Rückmarsch ins Camp. Benni trug die braune Armbinde. Ein Junge mit der gleichen Armbinde, der direkt hinter Benni marschierte, streckte sein Bein vor und brachte Benjamin zum Stolpern.
Blödmann, dachte Luk. So wirst du deinen Toilettendienst garantiert nie los.
An diesem Abend, kurz vor der Schulung, war Postausgabe. Luk rechnete nicht damit, dass er aufgerufen wurde. Es würde mindestens zwei Wochen dauern, bis Dr. Enno Schwarz antwortete.
»Luk!«, rief Pannewitz.
Luk lief nach vorn und nahm den Brief entgegen, den der Zugführer ihm hinhielt. Das war ja blitzschnell gegangen!
Erst als Luk sich den Brief genauer anschaute, kapierte er endlich.
Es war sein eigener Brief.
Jemand hatte neben der Adresse einen Stempel auf den Umschlag gedrückt.
ANNAHME VERWEIGERT!
29
So hilflos hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Luk lag mit geschlossenen Augen in seinem Bett. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Am meisten irritierte ihn, dass er so geschockt war. Er hätte doch wissen müssen, dass Dr. Enno Schwarz kein Ansprechpartner mehr für ihn war. Der hatte ihm doch deutlich genug zu verstehen gegeben, dass er die Zusammenarbeit beendet hatte. Nicht mal einen Stuhl hatte er Luk angeboten bei ihrem letzten Gespräch.
Der hatte ihn abgeschrieben. Gelöscht. Luk hatte das gewusst. Aber er hatte ganz im Ernst geglaubt, dass das alles nicht galt, wenn es - sozusagen - um einen guten Zweck ging. Um Benni, zum Beispiel.
Konnte man denn überhaupt noch doofer sein? Er hatte tatsächlich geglaubt, dass immer noch er die Fäden in der Hand hielt. Dass er nur ein bisschen die Taktik ändern müsste, schon hätte er alles wieder im Griff.
Hatte er aber nicht.
Es wurde Zeit, dass er sich endlich neu orientierte. Dr. Enno Schwarz, den konnte er streichen.
Und jetzt? An wen sonst konnte er sich wenden? An seine Eltern? Nein, an die schon gar nicht. Auf die war er inzwischen so sauer, dass er gar keine Worte dafür hatte. Sollte er denen jetzt einen Bettelbrief schreiben?
Luk, der harte Typ, der sich nie was sagen ließ, jetzt kroch er endlich zu Kreuze. Jetzt war er so klein, wie sie ihn haben wollten.
Aber würden sie deshalb gleich springen, wenn er rief?
Würden sie ihn nicht erst mal zappeln lassen, um zu schauen, ob der Wandel von Dauer war? Sie wussten doch, wie unberechenbar er sein konnte. Dass man sich nicht auf ihn verlassen konnte.
Wahrscheinlich würden sie erst mal testen, ob sich da wirklich was bei ihm geändert hatte. Monate konnte das dauern. Und Benni? So lange hielt der garantiert nicht mehr durch.
Das Schlimme war, dass Luk niemand sonst einfiel. Die Typen aus der Gang? In Gedanken ging er die Leute durch. Verwundert stellte er fest, dass er sich bei einigen schon nicht mehr an das Gesicht erinnern konnte. Und mal ganz nüchtern betrachtet:
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