Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Camp

Titel: Das Camp Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Tondern
Vom Netzwerk:
Was konnten die schon groß machen? Einen Anwalt für Benni finden? Die hatten ja nicht mal für sich selbst einen. Ganz davon abgesehen, dass ihnen die ganze Sache sowieso am Arsch vorbeiging. Bin ich beim Roten Kreuz , oder was? Nein, die Gang konnte er vergessen.
    Aber an wen sonst konnte er schreiben? Gab es jemanden in seiner Klasse? Niemand. Ein Lehrer? Die waren wahrscheinlich froh, ihn endlich los zu sein. Vermutlich würden die es wie Dr. Schwarz machen. Den Brief gar nicht erst annehmen. Und sie hatten ja recht: Wozu sollten sie sich jetzt noch die Finger an diesem schwierigen Schüler verbrennen? Er war weg. Verschwunden aus ihrem Leben. War doch super, oder?
    In den vergangenen Jahren hatte er immer gedacht, die anderen wollten was von ihm. Nie war er auf die Idee gekommen, dass es auch mal umgekehrt sein könnte. Dass er etwas von ihnen wollte.
    Und dann war plötzlich dieses Bild da. Diese Rillen unten im Watt! Wie elegant und fein sie geschwungen waren! Man fragte sich unwillkürlich, während man im Flugzeug darüber
hinwegglitt, wie so etwas entstehen konnte. Nicht mal der größte Künstler aller Zeiten konnte so etwas schaffen. Wahnsinn!, hörte er Judith aufgeregt sagen. Guck doch mal runter, Luk!
    Judith!
    Luk konnte sich nicht mal wirklich erinnern, wie sie aussah. Attraktiv irgendwie. Ihre Haare? Vielleicht dunkelblond oder brünett. Er hatte keine Ahnung. Wahrscheinlich hatte er sie nie richtig angeschaut. Aber seltsam, ihre Stimme hatte er noch im Ohr. Damals nach der Landung hatte sie piepsig geklungen von der Angst, die Judith gerade ausgestanden hatte.
    Wirklich, Luk, wir müssen unbedingt miteinander reden, hatte sie gesagt. Wieso wusste er das überhaupt noch? Er hatte ihr doch gar nicht richtig zugehört. Hatte sie einfach stehen gelassen, sich auf sein Fahrrad geschwungen und war weggefahren. Während sie versuchte, ihm zu helfen.
    Wenn er ihr jetzt schrieb, warum sollte sie ihm dann antworten? Er an ihrer Stelle würde garantiert nicht reagieren. Er würde den Brief in den Papierkorb werfen.
    Aber er musste es wenigstens versuchen. Er hatte gar keine andere Wahl. Und er musste es sofort machen. Er dachte daran, wie sie Benni am Nachmittag zum Stolpern gebracht hatten. Bis zum nächsten Post-Termin konnte er jedenfalls nicht warten.
    Er musste ein Dutzend Leute fragen, bis er endlich jemanden fand, der einen Bleistift gebunkert hatte. Es kostete ihn sein halbes Abendessen, den Stift für eine halbe Stunde auszuleihen.
    Papier hatte er ja zum Glück. Er nahm einfach die Rückseite des Briefes, den er von Dr. Enno Schwarz zurückbekommen hatte. Dadurch sparte er sogar Platz. Er brauchte nicht erst groß zu erklären, worum es ging. Und Judith sah, dass er
mit offenen Karten spielte, ihr nicht irgendwelche Märchen auftischte.
    Am nächsten Tag hängte er sich richtig rein in die Arbeit. Er bewegte sich im Laufschritt, wenn der Vermessungsingenieur seine Anweisungen gab. Er arbeitete so konzentriert, dass er oft schon im Voraus wusste, wie weit er den Vermessungsstab nach links oder rechts bewegen musste. Sie kamen schneller voran, als der Ingenieur geplant hatte.
    »Ich hab’s ja gesagt«, murmelte Haufeld einmal. »Der geborene Vermesser.«
    Doch beim Mittagessen, als sie nebeneinander in der Tür des Bullys saßen und Erbsensuppe aus ihrer Schüssel löffelten, hielt Haufeld plötzlich inne. Er sah Luk an.
    »Okay, was ist es?«
    Luk fühlte sich überrumpelt. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Du willst doch was von mir. Glaubst du, ich merk nicht, wie du dich an mich ranschmeißt? Also raus damit!«
    Luk holte den Brief aus der Tasche.
    »Vergiss es«, sagte Haufeld sofort.
    »Aber …«
    »Ich hab mit denen einen Vertrag«, sagte der Vermessungsingenieur. »Da steht zum Beispiel drin, dass ich keinem von euch mein Handy überlassen darf, nichts für euch ins Camp schmuggle, keine Briefe transportiere und noch ein paar andere Sachen. Ich musste das unterschreiben. Sonst hätten sie mir den Auftrag nicht gegeben. Okay?«
    Luk musste so enttäuscht ausgesehen haben, dass der Vermesser schließlich seufzte. »Tut mir leid, Luk. Wirklich. Aber bei dem geringsten Verstoß muss ich zahlen. Ein paar Tausend Euro Konventionalstrafe. Das hab ich auch nicht in der Portokasse.«

    »Klar«, sagte Luk.
    Sein erster Gedanke war, alles hinzuschmeißen. Sollte der Typ sich doch einen anderen Helfer suchen.
    »Das musst du verstehen«, sagte Haufeld. Er wartete. Als Luk nicht antwortete,

Weitere Kostenlose Bücher