Das Camp
zuckte er die Achseln, stellte seine Essschüssel auf den Boden und ging zu seinem Stativ zurück.
Luk blieb sitzen. Sollte der Arsch doch sehen, wie er allein klarkam. Haufeld holte ein Papiertaschentuch hervor. Vorsichtig wischte er die Linse des Peilgeräts sauber. Sehr sorgfältig machte er das.
Zwischendurch schaute er immer mal wieder zu Luk herüber.
Luk saß da und tat so, als ginge ihn das alles nichts an.
Der Ingenieur schien mit dem Ergebnis seiner Putzerei nicht wirklich zufrieden zu sein. Er stapfte zum Bully, suchte eine Weile in einer der Kisten auf der Ladefläche herum und kam mit einem blauen Mikrofasertuch zurück.
Arschloch, dachte Luk.
Aber während er zusah, wie der Vermesser die Linse anhauchte und sie dann mit dem Tuch polierte, schlich sich ein Gedanke in seinen Kopf. Zuerst war er nur winzig, aber schnell wurde er größer und fetter und war nicht mehr zu ignorieren.
Der gibt dir eine Chance, sagte der Gedanke. Er lässt dir Zeit, noch mal nachzudenken.
Doch irgendetwas sperrte sich in Luk. Er wollte aufstehen und zu seinen Stäben hinübergehen, aber seine Gelenke fühlten sich plötzlich ganz steif an, wie eingerostet. Er wollte sich einen Ruck geben, aber es passierte nichts. Er kriegte einfach seinen verdammten Hintern nicht hoch.
»Kommst du?«, fragte Haufeld. »Wir machen jetzt dort drüben weiter.«
Er sagte das so selbstverständlich, als ob überhaupt nichts gewesen wäre. Ohne Luk weiter zu beachten, schob er die Beine des Stativs zusammen und schulterte das Gerät.
Luk merkte, wie sich die Sperre in seinen Gelenken für einen Moment auflöste. Aber er wusste, dass sie gleich wieder da sein würde, wenn er noch lange zögerte.
Schnell stand er auf und machte den ersten Schritt, dann den zweiten. Und mit einem Mal war alles ganz leicht. Er sammelte die rot-weißen Vermessungsstäbe ein und trug sie zu der Stelle hinüber, an der Haufeld schon sein Stativ ausrichtete.
Es war alles ganz normal. Trotzdem hatte Luk das Gefühl, dass da eben was Wichtiges passiert war mit ihm. Er wusste nur nicht genau, was.
Sie redeten nicht mehr an diesem Nachmittag. Als sie die Geräte am Abend in den Bully räumten, hielt der Ingenieur plötzlich inne.
»Gute Arbeit«, sagte er. »Übrigens, ich hab einen Pauschalpreis mit denen ausgemacht. Wenn wir weiter so gut vorankommen, kann ich noch einen anderen Job annehmen.« Er sah sich kurz um. Von der anderen Seite der Lichtung kamen Kommandos. Die drei Züge stellten sich zum Rückmarsch ins Camp auf.
»Ich muss rüber«, sagte Luk.
Haufeld streckte die Hand aus. »Gib schon her.«
»Wirklich?«
»Eine Hand wäscht die andere.«
»Aber ich hab keinen Umschlag.«
»Egal. Ich hätte ihn sowieso aufgemacht.«
»Und den Brief gelesen?«
»Na sicher. Ich muss doch wissen, was drinsteht.«
»Luk!«, brüllte Pannewitz herüber.
Luk schluckte seine Empörung hinunter. Er stellte sich hinter den Bully, sodass Pannewitz ihn nicht sehen konnte, holte den Brief heraus und gab ihn Haufeld. »Er ist an ein Mädchen aus meiner Klasse«, sagte er schnell. »Aber ich hab nur die Schuladresse. Sie steht auf dem Rand.«
Dann rannte er los.
30
Die Arbeit mit Haufeld lief von Tag zu Tag besser. Sie gewöhnten sich aneinander, wurden ein eingespieltes Team. Luk ahnte im Voraus, welche Anweisungen der Vermessungsingenieur gleich geben würde.
Er war froh über jeden Tag, an dem er als Vermessungshelfer eingesetzt war. Das ständige Gebrüll, das von den Baugruben herüberdrang, verhieß nichts Gutes. Der Ton im Camp verschärfte sich.
»Die haben sich nicht rechtzeitig um die Baugenehmigungen gekümmert«, sagte Haufeld einmal. »Jetzt müssen sie ranklotzen, wenn sie vor dem Winter wenigstens noch den Rohbau fertig bekommen wollen.«
Luk sah, wie in der Baugrube gleich nebenan ein Junge eine mit dunkler Erde beladene Schubkarre auf das schwankende Brett schob, das als Rampe diente. Der Junge war Oleg, wie Luk jetzt erkannte. Die Baugrube war inzwischen fast einen Meter tief. Entsprechend steil war der Anstieg des Brettes. Oleg hatte Anlauf genommen. Er war stark und kräftig. Trotzdem schaffte er es nur etwa bis zur Hälfte der Rampe, dann stockte er. Seine Muskeln spannten sich. Zwei, drei
Sekunden lang sah es so aus, als würde er es schaffen. Dann kippte die Schubkarre plötzlich nach links, rutschte vom Brett und fiel hinunter. Oleg hatte nicht rechtzeitig losgelassen und wurde mitgerissen.
Ein dumpfer Laut war zu hören. Oleg schrie
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