Das Cassandra-Projekt: Roman (German Edition)
jemandem eine Exklusivstory anzubieten, wenn man vorhatte, einen oder zwei Tage später eine offizielle Erklärung abzugeben. So konnte man die Presseleute glücklich und sich gewogen machen.
In diesem Fall verfolgte Jerry eigene Interessen. »Da wir gerade von Myshko und dem LEM sprechen«, sagte er beiläufig, »wussten Sie, wer der Capcom auf der Erde war?«
Cole dachte kurz nach, zuckte mit den Schultern. »War vor meiner Zeit.« Er studierte seinen Teller. Zuckte noch einmal mit den Schultern. »Warum fragen Sie, Jerry? Ist das irgendwie wichtig?«
»Nein.« Jerry nahm einen großen Happen von seinem Salat, kaute und schaute zum Fenster hinaus. Es war ein trüber, kalter Tag.
»Warum haben Sie dann gefragt?«
»Sein Name ist Frank Kirby.«
»Er lebt noch?«
»Haben Sie das Informationsblatt zum Eastman Award erhalten?«
»Ja.«
»Kirby ist der Preisträger des ersten Awards.«
Cole hatte früh eine Glatze bekommen, nur ein schmaler Kranz brauner Haare umrahmte seinen Schädel. Nun rieb er sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn und anschließend die Schläfen. »Die Story ist tot, Jerry. Sie haben doch nicht vor, sie wieder hochzuspielen, oder?«
»Natürlich nicht. Ich frage mich allerdings, ob Kirby weiß, wie kurz er davorgestanden hat, den Medien eine Jahrhundertstory zu liefern.«
Cole verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Wir sollten die ganze Geschichte vergessen.«
Jerry lächelte. »Ganz meine Meinung, Warren.«
»Haben Sie das noch jemandem erzählt?«
»Nein.« Jerry machte eine Wissenschaft aus dem Umgang mit den Medienleuten. Cole würde niemandem etwas verraten. Aber am Tag der Preisverleihung würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Er würde die Tür aufstoßen, die Jerry ihm gezeigt hatte.
Als sie mit dem Essen fertig waren, übernahm Jerry die Rechnung für sie beide.
3
Morgan Blackstone blickte aus dem Fenster seines Büros und war zufrieden. Auf der linken Seite nahm Blackstone Enterprises eine Fläche von etwa vier Hektar ein, rechts, dreißig Stockwerke hoch, als wollte es nach dem Himmel greifen, befand sich das Gebäude von Blackstone Development. Dazwischen stand der äußerlich schlichteste und doch wichtigste Teil des Unternehmens, Blackstone Innovations.
Es ist erstaunlich, ging Bucky bei diesem Anblick durch den Kopf, wohin ein Hundertzehn-Zentimeter-Busen führen kann. Die Eigentümerin dieses Busens hatte er mit knapp zwanzig Jahren an einem Strand kennengelernt und sie überredet, nackt in seinem Studio zu posieren (nicht, dass er ein Studio gehabt hätte; er mietete ganz einfach die ungenutzte Garage eines Freundes). Als ihm niemand den, wie er dachte, angemessenen Preis für die Fotos bezahlen wollte, beschloss er, sie selbst zu veröffentlichen. Er überzeugte ein paar Bekannte, Geld zusammenzulegen. Geld zu beschaffen war ihm noch nie schwergefallen. Zwei Monate später veröffentlichte er die erste Ausgabe von Suave. Zu jener Zeit hatte er sich ein Zimmer mit Chuck Bestlers Sohn geteilt. Bestler war damals ein viel gelesenen Autor hartgesottener Krimis. Nachdem Bucky seinen Zimmergenossen dazu gebracht hatte, in das Projekt zu investieren, hatte der dann seinen Daddy überredet, den Aufmacher zu schreiben. Blackstone hatte Bestler fünf Prozent des Magazins verkauft, und Bestler , der den Profit schon riechen konnte, brachte all seine Freunde aus dem literarischen Umfeld dazu, ebenfalls einen Beitrag zu leisten, und schon war das Magazin ein Hit. Blackstone, der ein Ende einer Kamera kaum vom anderen unterscheiden konnte, heuerte zwei Topfotografen an, die jeweils über einen ganzen Stall von Hundertzehn-Zentimeter-Modellen verfügten. Und so wurde Morgan Blackstone lange vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag zum Multimillionär.
Seinen Namen hatte er nie gemocht. Also schuf er eine neue Persona, staffierte sich aus wie ein Cowboy (allerdings mit der Art von Pseudo-Cowboymontur, wie man sie in Manhattan in der Park Avenue bekam) und unterschrieb all seine Anzeigen und Editorials mit ›Bucky‹. Name und Image blieben kleben, und von da an war er nur noch Morgan, wenn es um Verträge oder Steuererklärungen ging. Als Bucky dreiundzwanzig wurde, war ihm das Magazin schon langweilig geworden. Er wusste, es warteten größere Herausforderungen auf ihn. Auf keinen Fall wollte er als achtzigjährige Peinlichkeit enden, so wie Hugh Hefner es getan hatte: ein verhutzelter alter Mann, der sich aufführte, als wäre er fünfunddreißig,
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