Das Chamäleon-Korps
jung ist, dann geht’s ihr auch gut. Da drüben leiden nur die Alten.“
„Dieses Mädchen“, sagte Jolson, „heißt Marina Bronzini. Schon mal irgendwo getroffen?“
„Marina? Klar.“ Leftover stach mit dem Finger in die Gitarre. „An die kommt keiner ran. Sie ist eine von diesen Ideologischen.“
„Wo verbringt sie denn ihre Zeit?“
„Sie wohnt an verschiedenen Orten. Meistens verbringt sie die Nacht bei Mutter Blaudrossel. Allerdings …“
„Allerdings was?“
„Sie ist seit etwas über einer Woche nicht mehr in der Zone gesehen worden.“ Leftover stützte seine Ellenbogen auf den Tisch. „Sie hat nie viel für mich getan, so spitz ich auch sein mochte. Ideologisiert und flachbrüstig. Hab’ den Typ nie gemocht.“
„Vielleicht besuche ich mal Mutter Blaudrossel“, sagte Jolson.
Der fleckige Mann rief: „Wir haben Glück! Hoch würden hat einen Touristenbus gekapert!“
Choate und der Korporal schoben gerade ein Dutzend gefesselter Touristen in den Speisesaal.
„Wenn sie uns hier rausgelassen haben, dann zeig’ ich dir gern die Zone“, bot Leftover an.
„Das wäre wirklich nett“, sagte Jolson.
17
Mutter Blaudrossel legte noch ein weiteres Kissen mit Polkatupfern unter Jolson und fragte: „Na, gemütlich genug?“
Jolson musterte die kleine, blonde Mutter Blaudrossel, die in ihren mittleren Jahren war. „Ja, doch. Recht herzlichen Dank.“
Dieser Raum des Klubs war groß und überkuppelt und erinnerte ein wenig an einen Gewölbekeller. Er war vor kurzem getüncht worden, und an allen möglichen und unmöglichen Stellen hing geraffter Chintz herum. An den rauchigen Fenstern hingen geblümte Chintzvorhänge, während alle Türen und Ausgänge mit obstgemustertem Chintz verhängt waren. Auf den hundert schmalen, runden Tischen lag Rüschenchintz, und um die Wandlampen und die eisernen Hut- und Schirmständer rankten sich glitzernde Chintzbahnen.
Leftover fragte: „Erinnert dich das an dein Zuhause?“
„Nö“, erwiderte Jolson.
„Da sieht man’s wieder. Ich weiß nicht mehr, wo’s langgeht“, sagte die ehemalige Berühmtheit. „Ich weiß schon nicht mehr, was wen an was erinnert.“
„Kopf hoch, Lefty“, sagte Mutter Blaudrossel. „Ich werde euch beiden netten Jungs ein bißchen was Kleines bringen.“
Leftover schnüffelte. „Hm. Ich rieche heißen Apfelstrudel.“
„Tatsächlich?“ fragte Mutter Blaudrossel. „Dabei sollte es doch in diesem Raum hier nach heißer Pfirsichpastete riechen. Ich habe jedenfalls diesen Schwuchteln an der Geruchsorgel gesagt, daß sie das hier reinpumpen sollten.“
„Nach mir darfst du nicht gehen“, sagte Leftover. „Ich weiß nicht mehr, wie die Dinge heutzutage riechen. Die jungen Leute von heute haben empfindlichere Nasen als wir, was, Tunky?“
„Bisher konnte ich mich über meine Nase nicht beschweren.“ Jolson legte die große Gitarre mit dem Metallkörper ab und plazierte sie auf einem der beiden leeren Stühle an ihrem Tisch. Dann legte er seine Hand auf die Brust, so daß seine Finger aufsein Schulterpistolenhalfter zeigten. „Eine Sache bekümmert mich, Mutter Blaudrossel.“
„Du kannst Mutter Blaudrossel immer alles sagen, was dich bekümmert.“
„Na ja, Ma’am, es ist die Tatsache, daß Sie nicht sonderlich echt zu sein scheinen.“
„Du bist neu in der Zone“, sagte Mutter Blaudrossel. „Ich bin ein Mann. Ist es das, was dich verwirrt?“
„Eigentlich ja.“
„In Wirklichkeit bin ich ein sechsunddreißigjähriger städtischer Buchhalter drüben im Stadtzentrum Nr. 14“, erklärte der verkleidete Mann. Er faßte an die Rüschenhaube, die er auf dem Kopf trug. „Aber als Buchhalter verdient man einfach nicht genug. Nicht, wenn man eine immer
Weitere Kostenlose Bücher