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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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den Glauben der Jesus-Anhänger – zu etwas Neuem, und das Neue wird Europa heißen, das christliche Abendland.
    Diese Verschmelzung vollzieht sich natürlich nicht sofort, sondern im Verlauf von Jahrhunderten. Die Bibel der Juden, das Alte Testament, ist zu Beginn auch die Bibel der Christen. Erst später fügen sie ihr eigenes Neues Testament hinzu, behalten aber das Alte, und damit das jüdische Denken, bis auf den heutigen Tag bei.
    Der Verschmelzungsprozess beginnt, als die Christen spüren, dass sie auf Skepsis und Ablehnung, ja Abscheu bei den griechischen und römischen Intellektuellen stoßen. Um dem zu begegnen, müssen die Christen beweisen, dass ihr Glaube vernünftig ist und dort, wo er scheinbar jeglichen Prinzipien der Vernunft zu widersprechen scheint und den Griechen als «Torheit» gilt, in Wahrheit einer höheren, einer göttlichen Vernunft entspricht.
    Dazu müssen sich die Christen als ebenbürtige Gesprächspartner der intelligenten und gebildeten Heiden erweisen und sich ihnen verständlich machen. Das können sie nur, wenn sie in den Denkkategorien der griechischen Intellektuellen argumentieren, sich also der Sprache und der Kategorien der griechischen Philosophie bedienen und den Logos und ihren Gott in eins setzen. Die Christen beginnen, Jesus mit dem Vokabular der griechischen Philosophen zu verkünden.
    Naturgemäß waren dabei erhebliche Widersprüche zu überbrücken oder aus der Welt zu schaffen. Eben diese Aufhebung der Widersprüche zwang zu einer neuen Schärfe des Denkens, welche den ursprünglich einfachen Glauben der ersten Christen auf ein geistiges Niveau hob, das kulturstiftend und geschichtsmächtig werden konnte.
    Jesus dürfte von all dem zeit seines Lebens kaum etwas geahnt haben. Die Heiden interessierten ihn nicht. Was er zu sagen hatte, war für die Ohren der Juden bestimmt. Doch weit mehr als die Juden interessierten sich die Heiden dafür.
    So entstand aus dem Versuch des Juden Jesus, das Judentum zu reformieren, mehr oder weniger zufällig etwas ganz anderes: eine neue Weltreligion, das Christentum, die Kirche, die sich als neues Volk Gottes verstand und lange Zeit leider auch als das eigentliche und wahre Volk Gottes. Eine erstaunliche, großartige, folgenreiche, tragische, unselige und doch auch segensreiche, glückliche Geschichte.

VOM SIEGESZUG UND VERRAT DER CHRISTLICHEN BOTSCHAFT: 2000 JAHRE CHRISTENTUM

WARTEN AUF DEN MESSIAS
    Angehörige anderer Kulturen, die erstmals in ihrem Leben eine Kirche betreten, erfassen das Besondere und zugleich Anstößige der christlichen Botschaft wahrscheinlich besser als wir, weil die Fremden noch schockiert, woran wir, die Eingeweihten, uns längst gewöhnt haben: Im Zentrum jeder christlichen Kirche erwartet den Besucher das Bild einer am Kreuz hängenden Leiche. Im Zentrum des christlichen Glaubens steht die als Verbrecher hingerichtete Gottheit. Drum herum relativieren zwar eine Fülle von Bildern, Skulpturen und Symbolen das Grauen dieses Anblicks, indem sie erzählen, dass dieser Tod nicht das letzte Wort sei im christlichen Glauben, aber umso merkwürdiger ist es, dass nicht der auferstandene Gott das Zentrum beherrscht, sondern der tote.
    Jeder Kaufmann, jeder Erfolgstrainer, jeder Verkaufspsychologe und jeder Unternehmensberater würde es genau umgekehrt machen, nein, nicht einmal umgekehrt: Den Gekreuzigten würden sie verstecken und nur den Auferstandenen als großen Triumphator in den Mittelpunkt rücken. Das Drumherum würden sie mit Varianten des Triumphs drapieren.
    Die Kirche hat dieser Versuchung bis heute widerstanden. Im Zentrum steht der Gekreuzigte. Er hat dem christlichen Abendland seinen Namen gegeben. Aus diesem christlichen Abendland entwickelte sich, was heute westliche Wertegemeinschaft genannt wird. Innerhalb der Grenzen dieser Gemeinschaft stehen Kathedralen, hängen Kreuze, feiert man den Sonntag und christliche Feiertage und zählt die Jahre seit Christi Geburt. Der Westen lebt scheinbar auf vertrautem Fuß mit seinem Religionsstifter. Daher meinten die Christen zu allen Zeiten, diesen Jesus zu kennen, und auch wir Heutigen meinen das, obwohl die meisten Zeitgenossen, vor allem die jüngeren, kaum noch etwas von ihm wissen.
    Das Schockerlebnis, das Kulturfremden angesichts des Gekreuzigten vermutlich in die Glieder fährt, bleibt bei uns aus, weil wir von klein auf daran gewöhnt wurden. Der Kreuzestod jenes Mannes, in dem Gott Mensch wurde, hat sich über zwei Jahrtausende so tief ins

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