Das Dach kommt spaeter
öffnete sich die Tür zumKreißsaal, und Gisela verkündete durch ihren Mundschutz: »Der Muddermund hat sich scho vier Zentimeter göffnet, desch is a guts Zeiche!« Ich nickte erleichtert, während sie sofort wieder verschwand.
Baba brütete immer noch über dem Grundriss. »Oğlum, Eingang auch nicht gut. Wirst du haben große Familie und viele Gäste, brauchst du mehr Platz für Garderobe.«
Da hatte er recht, das war ungeschickt gelöst. Nach längerer Diskussion einigten wir uns auf eine Nische links von der Tür, gegenüber dem Gäste-WC. Die Mauer wurde ein kleines Stück zurückversetzt, und, zack, hatten die Mäntel aller Verwandten Platz. Jetzt war Baba auf den Geschmack gekommen. Ein Änderungsvorschlag jagte den nächsten. Schnell herrschte auf meinem ordentlich begonnenen Plan das pure Chaos, so rasant wie die neuen Ideen entwickelt und wieder verworfen wurden.
Es war wie bei dem guten alten Zauberwürfel: Du drehst hier, und schon stimmt es dort nicht mehr. Wir verschoben die Küche, verkleinerten das Wohnzimmer, durchbrachen da eine Wand, zogen dafür dort eine neue ein, zeichneten, radierten, proportionierten, kamen jedoch zu keiner befriedigenden Lösung.
Auf einmal öffnete sich wieder die Tür zum Kreißsaal. »Jetzt goahts los«, flüsterte Gisela verschwörerisch und warf einen erstaunten Blick auf unser Werk, das in seiner wilden Linienführung inzwischen wie ein Schnittmuster aussah.
»Wir schaffen gerade Platz im Küchenbereich«, erklärte ich, aber sie schüttelte nur verständnislos den Kopf und tauchte wieder ab.
Um unsere etwas darniederliegende Inspiration zu befeuern, holte Baba im Krankenhauskiosk Tee und Kekse. Der Tee half nicht weiter, doch in den Plätzchen schien eine geheimnisvolle Substanz verbacken worden zu sein. Plötzlichbekamen unsere bis dahin reichlich krausen Einfälle eine klare Stoßrichtung.
»Habe ich perfekte Idee«, kicherte Baba.
»Ich auch.«
»Du erst!«
»Nein, du!«
Unsere Begeisterung steigerte sich im gleichen Maße wie unser besessenes Kichern.
»Was, wenn wir das Gästeklo ...?«, rief ich.
»… einfach lassen weg!«, ergänzte Baba kongenial.
Wieder öffnete sich die Kreißsaaltür. Der Mundschutz verkündete stolz: »Der Kopf isch scho halb raus!«
»Prima!«, krähte ich begeistert, woraufhin der Mundschutz die Tür schleunigst wieder schloss. »Wir bauen stattdessen einen Windfang ein!«
»Und kommt man gleich in Wohnzimmer!« Hysterisch gackernd klatschten wir uns gegenseitig auf die Schultern. Was waren wir bloß für ein perfektes Duo!
Als ich ein wenig zu heftig auf dem Plan herumradierte, riss das Papier, das von der vielen Kritzelei mürbe war, ein. Wir konnten uns vor Lachen darüber kaum auf der Bank halten. Mühsam die Balance wahrend, schob Baba die beiden Hälften des Plans zusammen, ich zeichnete in Windeseile den Windfang, und dann … der Durchbruch und – Lebensraum für meine Familie! Und dazu noch freier Blick auf den Garten.
Breaking News aus dem Kreißsaal: »Der Kopf isch drauße!«
Mich überkommt ein wahnsinniges Glücksgefühl: Gleich haben wir es geschafft! Jetzt noch schnell die Garderobe. Die passt auf einmal tadellos, ein neues Raumgefühl, Großzügigkeit, Luft, Platz … fertig!
»Es isch a Mädle – und es isch gsund und munter!« Giselasteht mit Wonnetränen in den Augen in der Tür. Bei Baba und mir sind es Lachtränen – glückselig fallen wir uns in die Arme. Das ist einfach zu viel Freude auf einmal.
In diesem historischen Moment kam Schwiegerpapa um die Ecke gerannt und bremste angesichts des allgemeinen Freudentaumels enttäuscht ab. »Bin ich zu spät?«, fragte er überflüssigerweise.
»Im Gegenteil«, jubelte ich. »Du kommst genau richtig. Hier ist der fertige Entwurf. Bring ihn sofort zu Pfleiderer. Ich habe eine Tochter, eine zu kleine Wohnung und keine Zeit mehr zu verlieren!«
Das sah Frank ein. Er nahm die beiden losen Hälften, legte sie vorsichtig in die Zeichenmappe und machte sich sofort wieder auf den Weg. Männer sind eben pragmatisch – und das ist auch gut so.
9. Kapitel
Eine folgenschwere Entscheidung
Ich war unglaublich stolz auf meine Frau und glücklich über unsere prächtig geratene Tochter. Nicht ganz so glücklich war ich darüber, dass meine Eltern Levin – wahrscheinlich um ihn über den Verlust seines familiären Alleinstellungsmerkmals hinwegzutrösten – eine mit einem kleinen Motor betriebene »Schlummerlampe« geschenkt hatten. Der Name war
Weitere Kostenlose Bücher