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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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entweder endlich den Plan fertig oder beauftrage diesen Pfleidermann. Deine Schwiegermutter ruft mich täglich zehnmal an, um mir zu sagen, wie verrückt sie deine Idee findet, den Architekten einzusparen. Ich halte das nicht mehr lange aus.«
    Piep.
    »Murat, oğlum. Wenn du hast Blockade: Baba hilft. Reißen wir nicht nur zusammen Steinhaus ab, sondern auch deine Block.«
    Piep.
    Die ständigen Anrufe machten mich wahnsinnig. Ich wusste ja selbst, dass wir durch die unnütze Suche nach einem Kaufobjekt schon genug Zeit verloren hatten und höchstes Tempo angesagt war. Also saß ich Abend für Abend und Nacht für Nacht an diesem vermaledeiten Grundriss. Das heißt, sofern meine Frau es zuließ. Denn inzwischen gab es allabendlich Ehekrach. Meist begann dieser ganz harmlos, nämlich mit der Frage, ob ich nicht auch ins Bett kommen wolle.
    »In zehn Minuten, Liebling. Ich stehe kurz vor dem schöpferischen Durchbruch.«
    »Das sagst du jeden Abend. Du stehst bestenfalls vor einem Blinddarmdurchbruch! Lass endlich den Pfleiderer ran und mich damit in Ruhe. Es ist dir bestimmt entfallen, aber ich bin SCHWANGER! Ich hätte gern einen verständnisvollen Ehemann an meiner Seite, keinen verhinderten Architekten.«
    »Mmmmhhh … Komme gleich.«
    Und schon waren wir mittendrin in einer Auseinandersetzung, die den Dreißigjährigen Krieg wie einen entspannten Sonntagsausflug aussehen ließ. Doch was hätte ich auf ihre ungerechten und vermutlich hormonell bedingten Vorwürfe sonst antworten sollen? Anscheinend konnte sie nicht verstehen, dass ich in dieser Sache nicht Herr meines Willens war. Ich saß ja nicht aus Jux und Dollerei Nacht für Nacht bis drei oder vier Uhr am Schreibtisch und zeichnete und verwarf und zeichnete neu – für mich ging es um nichts Geringeres als meinen männlichen Stolz. Meine Geschlechtsgenossen hatten zu dessen Verteidigung jahrhundertelang Duelle und gar Kriege angezettelt. Im Vergleich dazu waren meine nächtlichen Zeichenorgien ja nun wirklich harmlos. Trotzdem hätte ich mir eher die Hände abgehackt, als vonmeiner Wette mit Schwiegerpapa zurückzutreten. War es zu viel von einer Ehefrau verlangt, in dieser Sache ein wenig mehr Einfühlungsvermögen zu zeigen? Ich versuchte umgekehrt ja auch zu verstehen, dass sie halbe Tage lang über der Berechnung des genauen Geburtstermins hockte und ihn in ganz dunklen Momenten sogar auspendelte. Aber zugegeben, ich war noch nie schwanger, und womöglich kann frau in diesem Zustand einfach kein Verständnis für Hahnenkämpfe aufbringen.
    Nach ungefähr einer halben Stunde intensiv geführter Wortwechsel, in denen es, sehr verkürzt gesagt, um das Verhältnis zwischen der Bedeutung einer Geburt und dem männlichen Verständnis für dieses einmalige Ereignis ging, fing todsicher Levin zu schreien an. Als ebenso sensibles männliches Wesen wie sein Vater kann er es nicht ertragen, wenn seine Eltern streiten. Also lautete das Schlusswort unseres ehelichen Streitgesprächs meistens: »Levin, Süßer, Babu kommt und kümmert sich um dich.«
    Dann musste ich ihn ausdauernd wiegen, während er schluchzte: »Habt ihr euch nicht mehr lieb?«
    »Unsinn«, beharrte ich. »Babi und Mama haben sich ganz doll lieb.« Nach der zehnten Wiederholung glaubte ich fast selbst daran. Ärgerlich war natürlich, dass meine Vaterpflichten mich genauso vom Zeichnen und damit der Rettung meiner Selbstachtung abhielten wie die zuvor geführten Dispute mit meiner »Anjetrauerten« – eine Wortschöpfung, die ich aus Kosewitzens Sprachschatz übernommen hatte und im Stillen anwandte, wenn ich so richtig genervt von der Mutter meiner Kinder war.
    Eines Montagabends änderte sich alles. Wir hatten unseren inzwischen zur Routine gewordenen Zubettgeh-Disput noch nicht begonnen, da rief Ann-Marie aus dem Nebenzimmer: »Murat, die Wehen!«
    Als erfahrener Vater, der zudem in den Tagen zuvor stündlich darauf hingewiesen worden war, dass der Geburtstermin unmittelbar bevorstehe, beunruhigte mich diese Information nicht weiter. Ruhig und souverän bestellte ich ein Taxi, informierte Eltern und Schwiegereltern, griff das von meiner Liebsten bereits vor Wochen gepackte Köfferchen, schulterte unseren Sohn und half meinem vor Schmerzen wimmernden Schatz die Treppe hinunter. Meine Zeichenutensilien steckten in der Seitentasche des Koffers, spürte ich doch instinktiv, dass der schöpferische Durchbruch unmittelbar bevorstand.
    Der Taxifahrer hatte anscheinend Angst, als Geburtshelfer

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