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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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trügerisch, denn das Motorengeräusch der Lightshow war so laut, dass an Schlummer oder gar Schlaf nicht im Traum zu denken war. Auch deswegen nicht, weil Levin nicht müde wurde, jedes der auf dem Lampenschirm erscheinenden Tiere lauthals beim Namen zu nennen.
    »Elefant«, kreischte er selig oder: »Giraffe!«
    Ähnlich begeistert war er bestenfalls, wenn er mit meinem Handy herumspielen durfte, was zwar gewisse Risiken mit sich brachte, aber deutlich weniger nervte. Nach fünf anstrengenden Abenden ließ ich die Lampe unter dem Vorwand der Reparaturbedürftigkeit verschwinden. Levin war empört. »Elefant«, kreischte er nun fordernd oder: »Giraffe!«
    Ebenfalls empört zeigte sich mein Vater, als er das nächste Mal bei uns zu Besuch war. »Murat, wo ist Schummerlampe?«
    »Baba, das ist keine Schlummer-, sondern eine Wachbleiblampe. Wenn ich die wieder hinstelle, kannst du mich in wenigen Wochen in die Nervenheilanstalt bringen.«
    Er sah mich an, als wollte er sagen:
Na und? Elefant! Giraffe!
Es war deutlich, dass er andere Vorstellungen von Kindererziehung hatte als ich.
    Überhaupt sind bei der Erziehung immer alle mit gut gemeinten Tipps am Start. Was ich zum Beispiel echt nicht mehr hören kann, ist der Satz: »Eure Kinder müssen unbedingt bilingual aufwachsen!« Mittlerweile antworte ich immer: »Warum nur zweisprachig? Von mir lernen sie Türkisch und Berlinisch, von meiner Frau Schwäbisch. Und wenn alles gut läuft, können sie ja später Hochdeutsch als erste Fremdsprache dazunehmen.«
    Levin haute schon sehr früh Sätze raus wie: »Günaydın Babacığım, hascht gut gschlafe? Ick ooch. Gehscht benimle heut in Park?«
    Abgesehen vom alltäglichen Erziehungsdilemma hatte ich noch ein ganz anderes Problem: Ich wartete nervös auf die Stellungnahme des Architekten. Würde der von einem Amateur gezeichnete Grundriss vor den Augen eines Profis Gnade finden und ich damit meine Wette gewinnen? Amateur ist übrigens, wie manchmal in Vergessenheit gerät, das französische Wort für »Liebhaber«, und als eben solcher verstand ich mich: Ich war ein Liebhaber der Baukunst. Drei Tage nach der Geburt vibrierte mein Handy.
    »Herr Topal, hier Pfleiderer. Der Herr Häberle hat mir Ihren Entwurf zur Begutachtung gegeben.« Sofort schrumpfte mein Ego auf die Größe eines Sandkorns. Angeben ist leicht. Sich gegenüber einem Crack zu behaupten, der in seinem langen Berufsleben, wie ich im Netz recherchiert hatte, ungezählte Bauten entworfen und realisiert hatte, war ein ganz anderer Schnack.
    »Herr Pfleiderer, hallo«, versuchte ich, meine Nervosität hinter einer gelassenen Begrüßung zu verbergen. »Wie geht’s?«
    »Danke, gut. Herr Topal, wann haben Sie Zeit für einen Termin?«
    Herr Pfleiderer klang nicht nur wie jemand, der keine Zeit zu verlieren hat, sondern war unüberhörbar gewohnt, klare Antworten zu bekommen. Ich tat ihm den Gefallen.
    »Morgen, fünfzehn Uhr?«
    »Perfekt. Bis morgen, Herr Topal.«
    Uff. Wie durfte ich denn diesen kurz angebundenen Ton verstehen? Bezeugte er Respekt vor der genialischen Leistung eines hochbegabten Amateurs? Oder sollte er mich schon vorab auf einen erbarmungslosen Verriss einstimmen? In der Nacht schlief ich nicht nur schlecht, sondern wurde auch von wirren Träumen geplagt. Ein Zauberdrache setzte sich an den Tisch unserer klitzekleinen Puppenhausküche und überredete meine wunderbare Tochter zu einem Ausflug. Gerade wollte ich noch fragen, wohin es denn gehen solle, da entflog der Drache mit unserer Kleinen schon durch das offene Küchenfenster. »Ann-Marie, der Drache fliegt mit unserer Tochter aus«, schrie ich empört.
    »Was regst du dich auf«, zuckte sie nur mit den Schultern. »Er hat doch gesagt, sie machen einen
Aus flug.
«
    Während dieses bekloppten Dialogs klingelte es an der Wohnungstür. In der Hoffnung, unsere Tochter zurückzubekommen, öffnete ich, stand stattdessen aber einem fast zwei Meter großen Gartenzwerg gegenüber.
    »Hoi, hoi, hoi, bischt du der Topal?«, gackerte er von oben herab. »Du bischt ja kloiner als der kloinschte Schwoabenzwerg.«
    »Du bist doch gar kein Schwabenzwerg, du Angeber. Du bist ein Gartenzwerg. Und ein viel zu großer obendrein«, sagte ich.
    »Hoi, hoi, hoi, alle Gartenzwerge sind Schwoabenzwerge. Und alle sin mir größer als ihr mickrige Türkenkrummbeine.«
    »Was redest du denn da, du rassistischer Riesenzwerg«, protestierte ich.
    »Hoi, hoi, hoi, halt dei Gosch, du Atatürk. I bin der Pfleiderer, und

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