Das Dach kommt spaeter
Da Sie in dieser Angelegenheit sozusagen das Sprachrohr meiner Schwiegereltern sind, richten Sie doch bitte Folgendes aus: Ich weiß, was ich tue. Mag sein, dass ich auf Ihren Rat hin eine Hausbaufirma einschalte, dennoch gilt: Dieses Haus wird unter meiner Regie entstehen oder gar nicht!«
Entgegen meiner großmäuligen Aussage wusste ich selbstverständlich NICHT, was ich tat. Sonst hätte ich sicher erst einmal über den Erfahrungshintergrund des ein oder anderen deutschen Sprichwortes nachgedacht, wie zum Beispiel: Hochmut kommt vor dem Fall.
10. Kapitel
Mein Feind, der Baum
Einige Tage lang konnte ich das Hochgefühl, das mir der von Pfleiderer erteilte architektonische Ritterschlag gab, konservieren und schwebte auf der berühmten Wolke sieben. Viel zu schnell wurde ich von der klaustrophobischen Realität unserer beengten Wohnverhältnisse und den unaufhörlichen Mahnungen meiner Eltern und Schwiegereltern auf den ebenso berühmten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ann-Marie versuchte zwar tapfer, mir eine solidarische Gattin zu sein, aber oft genug riss ihr der Geduldsfaden. Dann flammten kurze, heftige Auseinandersetzungen zwischen uns auf, die mich von Tag zu Tag mehr bedrückten. Immerhin trieb Herr Pfleiderer Bauantrag und Genehmigungsverfahren zügig voran, nicht zuletzt dank stetigen Drucks meiner Schwiegermutter. Eines Nachmittags jedoch hatte er leider eine sehr unangenehme Überraschung für mich parat.
»Herr Topal, ich versuche Sie seit heute Vormittag telefonisch zu erreichen.«
»Tut mir leid, Herr Pfleiderer. Mein Sohn hat sich hinterrücks das Handy unter den Nagel gerissen und wusste dann nicht mehr, wo er es gelassen hat.«
»Wenn ich Ihrer Schwiegermutter glauben darf, wohnen Sie derzeit in einer Art Verschlag. Ich glaube nicht, dass manda das Läuten eines Telefons überhören kann.« Schon wieder voll im Kreuzverhörmodus, der gute Herr Pfleiderer.
»Danke für den Hinweis. Es ist nur so, dass ich in der Öffentlichkeit klingelnde Handys nicht leiden kann. Und weil ich dauernd unterwegs bin, stelle ich fast immer den Vibrationsalarm an. Weshalb wollten Sie mich denn sprechen? Gibt es Probleme?«
»Ich sage es nicht gern, aber: ja!«
»Bitte nicht. Davon habe ich schon mehr als genug. Neue Probleme brauche ich so dringend wie eine Axt im Schädel.«
»Verstehe ich. Aber Schwierigkeiten gehören nun einmal zum Leben.«
War er nicht nur Architekt und Anwalt, sondern auch Psychoklempner? Ich wollte es gar nicht wissen und ging daher nicht auf seine therapeutische Binsenweisheit ein. »Also gut, machen Sie es kurz und schmerzlos. Was gibt’s?«
»Sie erinnern sich an die schon etwas verwitterte Eiche, die auf Ihrem Grundstück steht?«
»Ist ja wohl kaum zu übersehen.«
»Die muss weg. Anordnung vom Bauamt.«
»Was? Sind die verrückt? Warum?«
»Steht zu nah an Ihrem geplanten Neubau. Der Stamm ist wohl morsch, weshalb die Sesselpupser Umsturzgefahr sehen und um Leib und Leben der Familie Topal fürchten.«
»Morsch? Dieser Koloss? Der ist ein Sinnbild ewigen Lebens. Wie soll der auf unser Haus fallen? Selbst wenn ich eine Familie von Bibern ansiedeln oder Chuck Norris engagieren würde, diesen Baum kriegt man nicht weg. Den kann man nur sprengen.«
»Tja, Herr Topal, das kann ich als Außenstehender nicht beurteilen. Ich bin lediglich der Überbringer der schlechten Botschaft. Sie wollten ja unbedingt den Hut aufhaben, also nehmen Sie das Ganze einfach als eine der von Ihnen herbeigesehntenHerausforderungen. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss auf die Baustelle eines Auftraggebers.«
Eine Zehntelsekunde später hörte ich nur noch das Freizeichen. Böse Falle! Was für »herbeigesehnte Herausforderungen«? Mir schwante, dass dies eine im Schwabenkreis abgesprochene pädagogische Maßnahme war, die mich überfordern und gefügig machen sollte. Oder steigerte ich mich langsam in einen Verfolgungswahn hinein? Egal. Aus den alten Kung-Fu-Filmen, die ich mir in entspannten Junggesellenzeiten dutzendweise reingezogen hatte, wusste ich: »Was mich nicht umbringt, bringt mich voran.« Pfleiderers durchsichtiger Versuch, mich kleinzukriegen, würde letzten Endes auf ihn selbst zurückfallen. Die Eiche, das Sinnbild ewigen Lebens, sollte gefällt werden? Nun gut, dann würde ich ihr eben ein für alle Mal den Garaus machen. Ich wählte die Nummer meiner Eltern. Schon nach dem ersten Klingelton hatte ich Baba am Apparat.
»Oğlum, was gibt? Hast du
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