Das Dach kommt spaeter
solch unfähige Flachpfeife wie di verspeis i grad zum Frühstück.« Und noch während der freche Unsympath das sagte, zog er tatsächlich Messer und Gabel aus der Zwergenkappe.
Glücklicherweise stürmte in diesem Moment meine Frau in den Flur und rief erleichtert: »Murat, der Zauberdrache hat angerufen. Er sagt, unsere Kleine sei in Sicherheit. Sie ist in dem Land, in dem Väter keine einstürzenden Häuser entwerfen dürfen.«
Zu meiner Erleichterung hatte Herr Pfleiderer, als er mir am nächsten Nachmittag persönlich die Tür zu seinem Büro öffnete, keine Ähnlichkeit mit dem unangenehmen Gigantenzwerg. Das heißt, er war schon ein Zwerg, aber eben ein normaler Zwerg. Seine geschätzt 1,55 Meter reichten gerade so an meine Schultern heran. Ansonsten wirkte er mit seinen wirren langen weißen Haaren und seiner an einer Goldkette um den Hals hängenden Nickelbrille wie das Klischeebild eines zerstreuten Professors. Sein Händedruck und seine Stimme waren jedoch fest und bestimmt.
»Herr Topal. Hatten wir nicht fünfzehn Uhr gesagt?«
»Entschuldigen Sie, Herr Pfleiderer. Meine Frau brauchte Hilfe. Sie ist noch etwas geschwächt von der Geburt unserer Tochter.«
»Gut, Entschuldigung akzeptiert. Folgen Sie mir bitte. Vorsicht vor den Türschwellen. Die sind höher als gewöhnlich. Nicht, dass Sie sich verletzen und mich hinterher verklagen.«
Der Mann schien nicht viel von seinen Mitmenschen zu halten. Vielleicht war es schlicht die Überheblichkeit desdoppelt Diplomierten, der sich dem Rest der Welt überlegen dünkt. Verblüfft hatte ich an der Haustür nämlich entdeckt, dass Pfleiderer nicht nur als Architekt, sondern auch als Anwalt praktizierte. Ich bin zwar ein Mensch, der in seinem Leben schon viel ausprobiert und durchaus einiges erreicht hat. Trotzdem schüchtern mich akademische Karrieren ein. Natürlich beruht dieser Minderwertigkeitskomplex ebenso sicher auf meinem – im Nachhinein immer wieder bereuten – frühen Schulabbruch, wie der Ehrgeiz von Pfleiderer auf das Napoleon-Syndrom kleiner Männer zurückzuführen war. Eine Erkenntnis, die mir in dieser Situation leider keinen Deut weiterhalf, denn das Wissen um seine Doppelbegabung machte mich ihm gegenüber noch unsicherer, als ich es ohnehin schon war. Und das wollte einiges heißen. Pfleiderers kräftiges Organ riss mich aus meinen Gedanken.
»Whisky, Herr Topal? Ich habe einige exquisite Single Malts vorrätig.«
»Danke, ich trinke keinen Alkohol.«
Er sah mich verdutzt an, kommentierte meine Ablehnung nicht weiter, bot mir jedoch auch kein anderes Getränk an. Stattdessen wies er mich zurecht: »Bitte nicht auf DIESEN Stuhl setzen, Herr Topal. Ich habe meinen festen Sitzplatz und mag es nicht, wenn ich den Kopf zu weit drehen muss. Nehmen Sie doch den Stuhl hier links. Herr Topal, eins vorweg: Ich hasse unnötige Höflichkeitsfloskeln.«
Dass er keinen gesteigerten Wert auf blumige Schmeicheleien legte, war nicht zu überhören.
»Sie sehen die vor mir liegende Mappe. In der Mappe befindet sich der Entwurf, den mein alter Freund Häberle zur Begutachtung abgegeben hat. Er behauptet, dieser Entwurf stamme von Ihnen. Stimmt das?«
»Ja, das ist richtig.«
»Herr Topal. Darf ich Ihnen dazu einige Fragen stellen?«Der Anwalt in ihm hatte offenkundig die Gesprächsführung übernommen. Solche Verhörsituationen kannte ich eigentlich nur aus meiner Polizeizeit.
»Sicher.«
»Könnten Sie bitte die Kaffeetasse nicht so nah an den Tischrand stellen? Ich möchte nicht die Reinigungskosten Ihrer Hose bezahlen müssen.«
O Mann. War das die Berufskrankheit von Architekten, die in steter Angst lebten, für irgendetwas in Regress genommen zu werden? Oder sprach auch hier Pfleiderer zwei, der Anwalt, der in der Vergangenheit so viele Schadensersatzprozesse geführt hatte, dass er alles nur noch unter dem Aspekt von Fiasko und Wiedergutmachung sehen konnte?
»Sie haben das also gezeichnet. Darf ich fragen, welche Qualifikation Sie dazu mitbringen.«
»Tja, eine Qualifikation im juristischen Sinne habe ich nicht« – das Absurde an Anwälten ist, dass man im Gespräch mit ihnen sofort ein schlechtes Gewissen bekommt –, »aber ich habe als Kind viel mit Lego-Steinen gebaut. Und seit meiner Jugendzeit viel im Haus herumgewerkelt und alles gelesen, was mir an Fachlektüre in die Hand kam.«
»Lego-Steine. Ich verstehe. Sie halten das für eine ausreichende Voraussetzung zum Entwerfen eines Hauses? Ich präzisiere: zum Entwerfen
Weitere Kostenlose Bücher