Das Dach kommt spaeter
Baugenehmigung?« Das war in unserer Familie inzwischen die Standardfrage. Hast du Baugenehmigung? – Dagegen waren Hungersnöte, Kriege oder Flugzeugabstürze Nachrichten vierter Klasse. Hätte ich geantwortet: »Baba, ich habe eine unheilbare Krankheit«, hätte er sicher gesagt: »Schade, dachte, ist Baugenehmigung.«
Ich erklärte ihm, dass wir, sozusagen als Generalprobe für den Abriss des Steinquaders, gemeinsam einen Baum zu fällen hatten.
»Baum fällen? Kein Problem, hab ich in Türkei oft gemacht.« Er schien geradezu begeistert. Schön, wenn man seinem Vater auf die alten Tage noch eine Freude bereiten kann.
Baba kündigte an, eine Kettensäge zu besorgen und zur Unterstützung seinen rüstigen und unerschrockenen Vereinskumpel Gerd mitzubringen. »Ist guter Mann, der arbeitet aus Leidenschaft.«
Na, prima. Ein fanatisches Arbeitstier war genau das, was wir brauchten. Als Trio infernale würden wir die widerspenstige Eiche schon zur Strecke bringen.
Drei Tage später standen wir vollzählig und pünktlich auf dem Grundstück, um die »Aktion« zu starten. Baba und ich in derbsten Arbeitsklamotten, denn die Komplexität der Aufgabe musste natürlich auch optisch unterstrichen werden. Ich hatte im Keller eine ziemlich stumpfe Axt gefunden, mit der ich mich irgendwann einmal zu Halloween gezeigt hatte. Babas Kumpel Gerd erschien zu meinem Erstaunen in voller Motorradkluft, inklusive Lederhandschuhen und Sturzhelm. Keine Ahnung, wo er die Sachen aufgetrieben hatte, denn er war mit einem fliederfarbenen Renault Twingo gekommen, einem Geschenk seiner frauenbewegten Gattin zur silbernen Hochzeit. Und Baba hatte, wie versprochen, über seine vielfältigen Kontakte eine Kettensäge besorgt. Eher zu meinem Bedauern, wäre ich doch lieber in den Baumarkt meines Vertrauens gefahren. Denn es ist ja so: Der Nestbau für die Familie mag viele Schattenseiten haben, wie zum Beispiel nervige Kreditverhandlungen und unfähige Makler, aber es gibt auch eine hell strahlende Sonnenseite, die einen für alles Ungemach entschädigt. Und das ist – der Baumarkt. Nennen wir die Sache ruhig beim Namen: Ich bin ein Baumarkt-Junkie. Wann immer ich von dort komme, bringe ich eine neue Maschine mit nach Hause, die meine Frau entsetzt fragen lässt: »Wofür ist die denn?«
»Keine Ahnung, Schatz, war im Angebot. Und wenn wir die brauchen, haben wir sie schon.«
Schon das erhabene Gefühl, samstagvormittags mit diesem Tieflader von Einkaufswagen in die heiligen Hallen einzufahren, ist kaum zu toppen. Und erst der unvergleichliche Geruch, diese Duftmischung aus Farbe, Klebstoffen undfrisch gesägtem Holz. Hat die Natur Besseres zu bieten? Ich glaube nicht. Ebenso beglückend sind für mich die Lautsprecherdurchsagen mit den aktuellen Sonderangeboten. »Beachten Sie bitte unsere preisreduzierten Akku-Spax-Bohrmaschinen: Wenn Sie heute vier Stück kaufen, gibt es eine umsonst!«
Im Baumarkt werde ich wieder zum Kind, ich kehre heim ins Lego-Paradies: links und rechts von mir die gigantischen, bis zur Hallendecke prall gefüllten Regale und in mir diese Stimme, die sagt:
Murat, du bist König, jetzt bau dir eine Stadt!
In Begleitung der Familie ist dieser Kick leider nur von kurzer Dauer. Spätestens nach zehn Minuten wird Levin ungeduldig und quengelt oder Ann-Marie beginnt das Nörgeln: »Murat, kannst du dich bitte beeilen. Wir haben heute noch anderes vor.« Aber sich im Baumarkt zu beeilen ist wider die Natur. Selbst Gott brauchte sechs Tage, um unsere Welt zusammenzubasteln. Und wie wir inzwischen wissen, hätte er sich ruhig etwas mehr Zeit nehmen sollen. Um mir daher auch an Familieneinkaufstagen zeitlichen Spielraum zu verschaffen, habe ich eine clevere Strategie ausgeklügelt. Meine Frau wird in die riesige Deko-Ecke gelockt, unser Sohn in der Zooabteilung geparkt. So kann ich das Sortiment in Ruhe scannen, habe jedoch leider auch erhebliche Zusatzkosten zu tragen. Meine Frau hat plötzlich zehn Vorhänge im Einkaufswagen – »Murat, Vorhänge muss man hin und wieder auch mal abnehmen und waschen« –, und mein Kleiner appelliert schamlos an mein weiches Vaterherz – »Schau doch, wie süß der guckt« –, bis er einen Hasen samt Stall, Streu und Futter mitnehmen darf.
Also gilt es im Interesse der Haushaltskasse, Möglichkeiten zu finden, wie man allein und ohne Zeitlimit in den sündigen Hallen herumstromern kann. Ein guter Trick, der Familie klarzumachen, dass Papa schon wieder zum
Dealer
muss, ist ein
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