Das Dach kommt spaeter
Uhr zu einem Koordinationsgespräch im Brandenburger Büro der Firma Hebbel. Die genaue Adresse sollte mir per Mail zugehen. Um die mühsam errungene Vereinbarung nicht zu gefährden, fragte ich weder, warum wir uns ausgerechnet in Brandenburg treffen mussten, noch, wie er es so schnell aus Kuala Lumpur in die märkische Steppe schaffen wollte.
Zwei Tage nach diesem filmreifen Gespräch hackte ich die Adresse, die ich selbstverständlich erst nach fünf weiteren Anrufen in der Hebbel-Zentrale erhalten hatte, in mein allwissendesNavi und schaffte es kurz vor knapp zu einem alten, heruntergekommenen Betriebshof am Ende einer wieder einmal verheerenden Schotterpiste. Das sollte Hebbels Brandenburger Dependance sein? Fast erwartete ich, meinen alten Freunden zu begegnen, dem Papageienmenschen und dem Pappnazi. Auf dem Areal fand sich ein buntes Sammelsurium aus verrostenden Baumaschinen, von Unkraut überwucherten Sand- und Kieshaufen sowie Unmengen von Paletten mit Dämmmaterial.
Ich hielt nach irgendetwas Ausschau, das als Bürokomplex durchgehen konnte. Fehlanzeige. Da hielt neben mir ein Gabelstapler. Der Fahrer, ein flächendeckend tätowierter Mittzwanziger mit Brikettfrisur, sprang vom Fahrersitz und kam auf mich zu.
»Suchen Sie was Bestimmtes?«, fragte er mäßig höflich.
»Ja. Ich suche die Firma Hebbel-Haus.«
»Hebbel-Haus? Kenn ich nicht. Hier gibt’s bloß Baustoffe.«
»Aber hier muss irgendwo ein Büro sein«, sagte ich flehentlich. Hatte ich mich in einen Kafka-Roman verirrt?
»Büro gibt es. Rechts an den Containern vorbei, dann noch mal scharf rechts, dann laufen Sie mittenrein.«
Wohlerzogen bedankte ich mich für die Auskunft, passierte diverse Baustoffcontainer, bog scharf rechts ein und stand dann tatsächlich vor einem unscheinbaren zweigeschossigen Gebäude, das so wirkte, als wäre es unter enormem Zeitdruck und mit wenig Fachkompetenz aus Fertigteilen zusammengeschraubt worden. Spätestens jetzt hätte ich endgültig fliehen sollen, denn solides Bauhandwerk sah anders aus.
Ich suchte die Fassade nach einem Hinweis auf die Firma Hebbel ab. Vergeblich. Also öffnete ich die Aluminium-Tür und betrat die schäbige Baracke. Drinnen war alles weiß und mit PVC-Böden ausgelegt, es roch nach einer seltsamen Mischungaus chlorhaltigem Scheuermittel und Instantkaffee. Zu sehen und zu hören war niemand. Nur an einer einsam an der Wand hängenden Korktafel hing ein mit Füllfederhalter beschrifteter Zettel. Darauf stand:
Schmuh & Sohn
1. Etage
Zimmer 210–214
Ich stieg die Aluminiumtreppe hinauf in die obere Etage und fand die auf dem Zettel erwähnten Zimmernummern am Ende des Ganges. An der Tür von Zimmer 210 klebte ein weiteres Stück Papier:
Sekretariat Firma Schmuh & Sohn
. Nach wiederholtem Klopfen hörte ich eine unfreundliche tiefe Frauenstimme:
»Herein.«
Hinter einem Aluminium-Schreibtisch saß eine korpulente Dame undefinierbaren Alters auf einem Aluminium-Drehstuhl. Ihren grauen Strickpulli zierte ein geschmackloses Pudelmotiv. Sie blickte von ihrem Computer-Bildschirm auf. »Bitte?«
»Ihnen ebenfalls einen guten Tag. Ich suche die Firma Hebbel-Haus.«
Ohne mich anzusehen, drückte sie eine Taste auf der neben ihrem Computer stehenden Telefonanlage. »Herr Schmuh«, brummte sie in die Freisprecheinrichtung. »Hier sucht jemand die Firma Hebbel-Haus?«
»Wunderbar«, krächzte es zurück. Die Stimme klang, als würde ihr Besitzer jeden Morgen mit rostigen Nägeln gurgeln. »Das ist bestimmt der Dings, der Topas. Mit dem waren wir vor ’ner Viertelstunde verabredet.«
Reflexartig sah die Vorzimmerbrumme vorwurfsvoll auf ihre winzige Aluminium-Armbanduhr, die von ihrem speckigen Unterarm fast vollständig verschluckt wurde.
»Moment«, protestierte ich. »Das muss ein Irrtum sein. Erstens heiße ich Topal, und zweitens bin ich mit der Firma Hebbel-Haus verabredet.«
»Haben Sie gehört, Chef?«, erkundigte sich die Pudeldame überflüssigerweise, da der Chef bereits mitten in seiner Replik steckte.
»Das hat schon seine Richtigkeit. Wir sind von Hebbel beauftragt, Ihre Baustelle abzuwickeln.«
Abzuwickeln? Konnte man etwas abwickeln, was noch gar nicht existierte? Und beauftragt? Hatte ich mich nicht eben deswegen für Hebbel entschieden, weil sie »alles aus einer Hand« garantiert hatten? Was wurde denn hier für ein Spiel gespielt? Bevor ich meine vielen Fragen stellen konnte, öffnete sich wie in einer Boulevardklamotte eine Tür, und die Szene
Weitere Kostenlose Bücher