Das Dampfhaus
vergessen, daß es ein Hindu und kein Engländer war, der hier sprach. Allem Anscheine nach hatte Kâlagaul übrigens an der Erhebung nicht theilgenommen, mindestens hatte er niemals etwas verlauten lassen, was dafür gezeugt hätte.
»Nun gut, fuhr Banks fort, wir lassen also die Städte von Bhopal westlich liegen, und wenn Sie überzeugt sind, daß der Paß von Sirgur uns nach einer gangbaren Straße führt…
– O, diese Straße habe ich oft genug kennen gelernt; sie biegt um den Puturia-See und mündet vierzig Meilen von da, nahe Jubbulpore, an der Eisenbahn von Bombay nach Allahabad.
– Richtig, sagte Banks, der den Angaben des Hindus auf der Karte folgte; aber von da aus?
– Von da aus wendet sich die Hauptstraße nach Südwesten und läuft sozusagen neben der Bahnlinie bis Bombay.
– Ja, ja, so ist es, antwortete Banks; ich finde also kein ernsthaftes Hinderniß, durch die Vindhyas zu reisen und wir können uns mit diesem Wege einverstanden erklären. Den Diensten, die Sie uns bisher geleistet haben, Kâlagani, reihen Sie hiermit einen neuen an, der Ihnen nie vergessen, werden soll.«
Kâlagani verneigte sich und wollte eben weggehen, als er, sich besinnend, noch einmal auf den Ingenieur zutrat.
»Sie haben noch eine Frage an mich? begann Banks.
– Ja wohl, antwortete der Hindu. Darf ich wohl erfahren, warum Sie so geflissentlich die großen Städte von Bundelkund vermeiden wollen?«
Banks sah mich an. Wir hatten keinen Grund, Kâlagani zu verheimlichen, daß das aus Rücksicht auf Sir Edward Munro geschehe, und so theilten wir ihm denn das Nöthigste darüber mit.
Kâlagani horchte gespannt auf die Worte des Ingenieurs. Dann sagte er mit einem gewissen eigenthümlichen Tone:
»Der Oberst Munro hat von Nana Sahib nichts mehr zu fürchten, wenigstens nicht in diesen Provinzen.
– Weder in diesen Provinzen, noch irgend wo anders, bemerkte Banks dazu. Warum sagen Sie gerade, »in diesen Provinzen«?
– Weil der Nabab, wenn er, wie man behauptet, vor einigen Monaten in der Präsidentschaft Bombay aufgetreten war, jedenfalls, da alle Nachforschungen vergeblich blieben, die indo-chinesische Grenze wieder überschritten hat.«
Diese Antwort bewies, daß Kâlagani von den Ereignissen in den Sautpourra-Bergen nichts wußte und nicht erfahren hatte, daß Nana Sahib bei dem Pal von Tandit durch Soldaten der königlichen Armee getödtet worden war.
»Ich sehe, Kâlagani, sagte darauf Banks, daß die Neuigkeiten, welche sich sonst durch ganz Indien verbreiten, bis in die Wälder des Himalaya nur mit Mühe hinauf dringen!«
Der Hindu sah uns, ohne zu antworten, ziemlich starr an, wie ein Mann, der nicht versteht, was er hörte.
»Ja, fuhr Banks fort, Sie scheinen nicht zu wissen, daß Nana Sahib todt ist.
– Nana Sahib ist todt? rief Kâlagani.
– Gewiß, versicherte Banks; von der Regierung sind auch die näheren Umstände bekannt gemacht worden, unter denen er den Tod gefunden hat.
– Das ist nicht möglich, sagte Kâlagani, den Kopf schüttelnd; wo wäre Nana Sahib denn getödtet worden?
– Bei dem Pal von Tandit, in den Sautpourra-Bergen.
– Und wann?…
– Schon etwa vor vier Monaten, antwortete der Ingenieur, am 25. Mai!«
Kâlagani, an dem mir der Ausdruck seiner Augen hierbei auffiel, kreuzte die Arme und stand schweigend da.
»Haben Sie Gründe, fragte ich ihn, an den Tod Nana Sahib’s nicht zu glauben?
– O nein, meine Herren, erwiderte Kâlagani, ich glaube ja, was Sie mir sagen!«
Bald nachher, als wir allein waren, kam Banks noch einmal auf diesen Gegenstand zurück.
»Darin gleichen sich doch alle Hindus, sagte er. Der Anführer der rebellischen Sipahis ist zur sagenhaften Persönlichkeit geworden. Die abergläubischen Leute werden nimmermehr an seinen Tod glauben, da sie ihn nicht haben hängen sehen!
– Sie erscheinen mir, fügte ich hinzu, wie die alten Brummbären des Kaiserreiches, die zwanzig Jahre nach Napoleon’s Tode behaupteten, daß dieser noch immer am Leben sei!«
Seit der Ueberschreitung des oberen Ganges, den das Steam-House vierzehn Tage vorher passirt hatte, dehnte sich ein fruchtbares Land mit schönen Straßen vor dem Stahlriesen aus. Es war Doab, das zwischen dem Ganges und der Jumna liegt, bevor diese sich bei Allahabad vereinigen. Weite Alluvialebenen, zwanzig Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung von den Brahmanen urbar gemacht, sehr lückenhafte Culturfortschritte bei den Bauern, große, durch englische Ingenieure ausgeführte
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